Kapital: Roman (German Edition)
ihm gesagt, damit liege man zwar durchaus an der oberen Grenze, aber man könne »es ja einfach mal versuchen«, immer dem Grundsatz folgend: »Was ist schon das Schlimmste, was passieren kann?«
Roger hasste alles, was mit dem Verkauf des Hauses zu tun hatte. Er hasste Mr Travis, insbesondere dessen Stimme – gar nicht mal seinen Akzent, er war durch seine Arbeit in der City an alle möglichen Sorten von Akzenten gewöhnt – sondern seine tonlose, kratzige, gefühlsleere und gleichzeitig doch so einschmeichelnde Stimme. Am meisten aber hasste er ihn dafür, dass er glaubte, er hätte das Recht, zu allem seine Meinung abzugeben und ihnen Ratschläge zu erteilen. So verkündete er zum Beispiel, dass er es ganz wunderbar fand, wie sie ihre Küche gestaltet hatten, lobte die originelle Art, wie sie im Wohnzimmer das Tageslicht zur Geltung brachten, meinte, Rogers Büro sei zwar vom Stil her etwas lahm und altmodisch, aber das sei ja schließlich nicht so schlimm, denn der Rest des Hauses sei absolut überzeugend – und außerdem gebe es den potentiellen Käufern die Gelegenheit, Verbesserungen vorzunehmen, sie bekämen dann das Gefühl, ganz von vorne anfangen zu können. Travis schaute sich mit Begeisterung Immobiliensendungen im Fernsehen an und fand die weit verbreitete Angewohnheit, durch die Häuser anderer Leute zu flanieren und ein Urteil über sie zu fällen, ganz natürlich.
Das galt auch für die meisten anderen Personen, die kamen, um sich das Haus in der Pepys Road 51 anzuschauen. Zwar sagten die Leute ihre Meinung nicht laut, von den allerunverschämtesten Besuchern einmal abgesehen, aber Roger konnte sehen, was sie dachten, und das war schon schlimm genug. Sie spähten, sie schnüffelten herum, sie gafften, sie urteilten. Roger konnte es förmlich hören, wie es in ihren winzigen Gehirnen surrte und schwirrte. Warum verkaufen die? Warum ist wohl der Mann nicht bei der Arbeit? Wo mögen sie wohl hinziehen? Auf welchen Preis könnten wir sie drücken? Sind das da Lucie-Rie-Töpfe?Schnüffel schnüffel surr surr, so ging es ihren kleinen Gehirnen. Viele von ihnen, eine ziemlich bedeutende Minderheit und vielleicht ja sogar eine Mehrheit, waren augenscheinlich nur deshalb gekommen, um ganz vulgär ihre Neugier zu befriedigen und das Haus auszuspionieren. Travis behauptete, er würde die »Zeitverschwender schon im Vorfeld aussortieren«, aber das war ganz unverkennbar gelogen. Roger war sehr oft versucht, denen, die eindeutig nicht als ernsthafte Käufer gekommen waren, sondern nur, um in seinem Leben herumzuschnüffeln, schon auf der Türschwelle zu sagen, sie sollten sich zum Teufel scheren. Einmal schaute sich sogar ein Paar im Haus um, das unten in ihrer Straße wohnte. Sie hatten ganz offensichtlich nicht damit gerechnet, dass die Besitzer sie erkennen würden. Travis führte sie durch die Zimmer, aber Roger folgte ihnen hart auf den Fersen, um sie ein wenig einzuschüchtern. Während der Makler seinen üblichen Sermon abließ, stellte Roger sich daneben, verschränkte die Arme und starrte sie zornig an. Innerhalb von zehn Minuten hatten sie das Haus wieder verlassen.
»Travis, diese Leute wohnen bereits hier in der Straße«, sagte Roger und musste sich sehr beherrschen, um nicht etwas wesentlich Unhöflicheres zu sagen.
»Huch, oh je, mein Fehler«, sagte Travis, fand jedoch ganz offensichtlich nicht, dass er irgendetwas falsch gemacht hatte. »Die haben ja Nerven, was? Egal, ich habe heute Nachmittag ein paar wirklich gute Interessenten für Sie.«
Es war gar nicht einmal so, als gäbe es keine Angebote für das Haus. Die gab es sofort – noch am allerersten Tag, von den ersten Leuten, die es sich anschauten. Aber das war natürlich kein ernst zu nehmendes Angebot. Oder zumindest war es nur insoweit ernst zu nehmen, als die Absichten der Leute zwar aufrichtig waren, sie aber einfach nicht über genügend Geld verfügten. Diese Leute hätten 1. ihr eigenes Haus für weit mehr Geld verkaufen müssen, als sie dafür bezahlt hatten, und 2. einen gigantischen Kredit aufnehmen müssen, bevor sie überhaupt auch nur daran hättendenken können, ein Angebot für das Haus in der Pepys Road Nummer 51 abzugeben. Realistisch gesehen hätten sie eigentlich gar nicht erst zur Hausbesichtigung kommen dürfen. Travis, der in fast jeder Hinsicht Unsinn verzapfte, stellte sich überraschenderweise als knallhart heraus, wenn es darum ging, welche Angebote in Betracht gezogen werden sollten. Das lag ohne Zweifel
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