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Kapital: Roman (German Edition)

Kapital: Roman (German Edition)

Titel: Kapital: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchaster
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des üblichen Levels. Die Leute saßen einfach nur da. Ein oder zwei hatten den Kopf in die Hände gestützt. Andere standen in kleinen demoralisiertenGruppen zusammen. Sie sahen aus wie Flüchtlinge oder so etwas in der Art. Traurig. Absolut traurig. Es war genauso, als ob … Roger versuchte, eine Metapher für diesen Grad von Schmerz zu finden, dafür, wie allumfassend diese Katastrophe war. Es war so, als wärst du in irgendeinem Scheißloch im Irak, wo gerade ein Pilot der Amis aus Versehen eine Bombe auf dich abgeworfen hatte. Alle um dich herum sind in Stücke gerissen, überall sind Leichenteile, Arme, Beine, Blut, alles Mögliche. Und du kannst nichts dafür. Das war das Wesentliche – es war nicht deine Schuld. Er hatte nichts falsch gemacht. Aber sie waren hingegangen und hatten die Bombe trotzdem abgeworfen. Diese scheiß Amis …
    Wie auch immer: Freitag war es einfach noch zu früh gewesen, und übers Wochenende hatte sich keine Gelegenheit ergeben. Um eine derart schlechte Nachricht zu überbringen, musste man sich vorher erst ordentlich wappnen und um diesen Augenblick herum noch einen gewissen Zeitpuffer einbauen, aber die Gelegenheit dazu hatte sich nicht ergeben. Arabella war am Samstag den ganzen Tag unterwegs gewesen, und er hatte erst ausgeschlafen und dann lauter Kleinkram erledigt, während sich das Wochenend-Kindermädchen um Joshua und Conrad gekümmert hatte. Am Nachmittag war er dann ins Fitnessstudio gegangen, und nachdem die Kinder im Bett waren, hatten sie sich etwas zum Mitnehmen geholt und gegessen. Zu diesem Zeitpunkt war die Stimmung schon viel zu entspannt gewesen, um sie noch zu verderben. Am Sonntag hatten sie dann im Country Club eine Verabredung zum Brunch gehabt, die sich bis in den Nachmittag gezogen hatte, und Roger hatte von zwei, womöglich auch drei Bloody Marys ein wenig der Kopf geschwirrt, woraufhin er erst mal wieder ein wenig runterkommen musste, und irgendwie war der Tag dann plötzlich vorbei gewesen. Und jetzt war es Montag, Heiligabend, und das konnte ja unmöglich der richtige Zeitpunkt sein, oder? Kein Zeitpunkt, um deiner Frau zu sagen, dass du weit unter deinen eigenen Erwartungen geblieben bist. Unglücklicherweise hatte Roger nämlich vor ein paar Monaten den Fehler begangen,Arabella von genau diesen Erwartungen zu erzählen. Er hatte der Versuchung nicht widerstehen können, denn damals war sein Aktienkurs als Ehemann gerade an einem ziemlichen Tiefpunkt angelangt. Dabei hatte er einfach nur sehen wollen, wie wieder dieses Funkeln in ihre Augen kam. Aber seiner Frau zu sagen, dass er locker um 970000 £ unter seinen Erwartungen geblieben war, das war nicht die Art Geschenk, das man Heiligabend überreichte. Er war ja schließlich kein Monster.
    Und bei all dieser Abwägerei hatte er kaum Zeit gehabt, daran zu denken, dass es ja eigentlich Weihnachten war. Wenigstens hatte er sich um Arabellas Geschenk gekümmert, irgendso ein ausgefallenes Sofa, auf das sie ein Auge geworfen hatte. Es würde – und das war der Knüller – tatsächlich genau am ersten Weihnachtsfeiertag geliefert werden. Die Leute im Möbelgeschäft, oder jedenfalls die Lieferanten, arbeiteten auch an Weihnachten, damit man sein Geschenk genau dann haben konnte, wenn man es wollte, und nicht etwa diesen Blödsinn mit einer zweiwöchigen Lieferfrist in Kauf nehmen musste. Zugegeben, wenn man schon zehn Riesen für ein Sofa hinblätterte, dann konnte man ja wenigstens erwarten, dass das Scheißteil auch genau dann geliefert wurde, wenn man es wollte, egal, ob es nun Weihnachten war oder nicht.
    Weihnachten war eben Weihnachten. Auf gar keinen Fall durfte man daraus eine Szene aus so einem deprimierenden Film machen. Ist das Leben nicht schön? ohne das Happy End: Ist das Leben nicht scheiße, denn wir sind plötzlich arm? Nein. Und am zweiten Weihnachtsfeiertag ging es natürlich auch nicht. Der Plan sah vor, dass sie am 27. nach Minchinhampton fahren und über Silvester dort bleiben würden. Sie hatten ein paar Freunde zu einer Party und zum Übernachten eingeladen. Das wäre vielleicht der richtige Moment, in Wiltshire. Außerhalb von London würden die Dinge womöglich in einem etwas besseren Licht erscheinen. Arabella würde zwar total kaputt sein, weil sie sich um die Kinder kümmern musste – sie hatte ihn schon gewarnt, dass die Kinderbetreuung während der Feiertage an »ihnen beiden allein« hängenbleibenwürde. Das hieß natürlich, dass sie dann ziemlich schlecht drauf war,

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