Kaputt in El Paso
einen Teil des Schädelknochens entfernt. Jetzt läuft alles nur noch über die linke Gehirnhälfte. Ich werde wohl noch Bohnen zählen können, wenn ich wieder draußen bin, aber mit dem Schreiben von Gedichten ist es wohl vorbei. Kein Kokettieren mehr mit der Möchtegern-Bohème! Nein, Sir!« Er musste über diese alberne Vorstellung lachen, und sein Lachen klang wie Kieselsteine, die durch ein Abflussrohr fallen. »Was soll’s, ich bin Wirtschaftsprüfer, insofern spielt das keine Violine.«
Er wandte mir wieder seine unversehrte Gesichtshälfte zu und sprach Richtung Wand: »Man kann sich mit so manchem abfinden, Kumpel, aber wenn ich nicht bald was zu rauchen kriege, raste ich aus.«
Ich verließ das Krankenhaus und fragte mich, warum ich Jesaja gebeten hatte, mir dabei zu helfen, Moses zu verschleppen. Ich hatte doch überhaupt keinen Plan. Ich hatte mich selbst zu etwas verdonnert, von dem ich weder konkrete Vorstellungen hatte noch wusste, wie ich es anpacken sollte. Vielleicht stand ich an einem Wendepunkt in meinem Leben. Vielleicht hoffte ich auch, dass ich an einem Wendepunkt stünde.
Dreiundzwanzig
Die Nacht verbrachte ich in 34-A. Es war eine furchtbare Nacht. Mein Nachbar gehörte wohl zu den Nachtaktiven. Ein ständiges Kommen und Gehen, Türenknallen, hin und wieder wurde gebrüllt und dann das endlose, die Wände erschütternde Hip-Hop-Dröhnen. Die Waffe in der Hand, schreckte ich mehrmals aus dem Halbschlaf hoch und zielte auf die Geräusche. Ich hatte Albträume und Bilder aus diesen Albträumen bewegten sich durch das Zimmer und wurden für mich zum Ziel.
Noch vor Sonnenaufgang stand ich auf und machte mir einen Joghurt-Shake. Seit Wochen hatte ich nicht mehr anständig trainiert, meine Ernährung war katastrophal und dementsprechend sah ich aus. Um den Bauch herum hatte ich zugelegt und meine Arme fühlten sich an wie Pudding. Ich schnappte mir die Thomas-Inch-Hanteln. Nach nur wenigen – halbherzigen – Bizeps-Curls und French Presses schmiss ich hin. Meine Bandscheiben meldeten sich und ich fühlte ein brennendes Stechen, als würde sich ein unter Spannung stehender Draht vom Hals bis hinunter in beide Ellbogen ziehen. Der Bereich rund um meine alte Rückenverletzung pochte wie ein vereiterter Zahn. Ich betrachtete mich im Badezimmerspiegel. Meine Brustmuskeln hatten an Spannkraft eingebüßt und wirkten leicht erschlafft; die Deltamuskeln hatten sich zurückgebildet und am Kinn entdeckte ich erste Anzeichen der Alterung; die Bauchmuskulatur war dank neuer Fetteinlagerungen nur noch unzureichend definiert. Mit meiner Ausstattung ging es ohne Wenn und Aber bergab. Ich duschte und zog mich an. Nachdem ich mir ein zweites Frühstück mit Rührei – nur das Eiweiß – und Toast genehmigt hatte, machte ich mich auf den Weg zum Flughafen, um Zacharias abzuholen. Jesaja und Zipporah mussten arbeiten, also war die Sache an mir hängen geblieben.
Vor Zack, Sams und Maggies jüngstem Adoptivkind, hatte ich immer einen Heidenrespekt. Er war ein wahres Genie, verpackt in eine ernsthafte Persönlichkeit. Schon vor dem Kindergarten hatte er lesen und schreiben können, mit zehn bereits Geometrie, Differential- und Integralrechnung und den Hummelflug auf der Geige gemeistert. Er war ein braves Kind gewesen, wenngleich auch der geborene Skeptiker. »Wenn Adam und Eva die ersten Menschen waren«, hatte er Sam einmal gefragt, »und Kain und Abel ihre ersten Kinder, wie hat dann Kain im Land Nod eine Frau finden können? War Nod ein Ort wie Eden? Gab es dort auch einen Adam und eine Eva? Und wie konnte Adam neunhundertdreißig Jahre alt werden? Das ergibt doch keinen Sinn, Daddy.«
»Die Sinnfrage wird überschätzt«, hatte Sam ausweichend geantwortet. »Gottes Wege zielen nicht auf die Fähigkeit des Menschen, sie zu verstehen. Erinnere dich, Sohn, Gott ist kein rationales Wesen.« Daraufhin hatten sich Zacks koreanische Augen geweitet, als wäre das die gruseligste Sache, die er je gehört hatte. Doch er hatte Sam nichts von alldem abgekauft und so hatte es seinerseits auch keine Nachfragen zu Sams Bemerkung über einen irrationalen Gott gegeben.
Niemals mehr hatte Zack Fragen zu Sams Glauben oder zur Bibel gestellt; mit beidem hatte er bereits vor seiner Teenagerzeit abgeschlossen. Mit zwanzig wurde er Buddhist, hielt es jedoch vor Maggie und Sam geheim. Er ging als Stipendiat an die Stanford und legte sein Juraexamen an der University of San Francisco ab. Derzeit arbeitet Zack als Jurist für
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