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Kaputt in El Paso

Kaputt in El Paso

Titel: Kaputt in El Paso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick DeMarinis , Frank Nowatzki , Angelika Müller
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fragte sie. Ich nickte. Ihr fester Blick ruhte auf mir. »Wir haben Sie früher erwartet.«
    »Es gab Komplikationen«, erklärte ich.
    »Es gibt immer Komplikationen«, erwiderte sie. »Diese familiären Umstände sind nie so einfach, wie man es sich wünscht.«
    Wir lächelten uns an, wussten beide, wovon sie sprach. Sie hatte ein langes, schmales Gesicht und eine dünne Nase mit Nasenlöchern eng wie Schlitze. Ihr blauschwarzes Haar glänzte und die Iris ihrer großen, grauen Augen war gelb gefleckt.
    »Ich wehre mich dagegen, eingewiesen zu werden.« Moses hatte sich seiner Würde erinnert und rief sie ab. »Ich möchte das zu Protokoll geben«, fuhr er fort. »Ich wurde entführt, meine Bürgerrechte wurden mit Füßen getreten. Ich will sofort nach Hause. Wenn es mir nicht gestattet wird zu gehen, werde ich Sie verklagen. Ich verklage Sie auf zehn Millionen – hundert Millionen! Dann kaufe ich diesen verdammten Gulag hier!«
    »Beruhigen Sie sich, Mr. Walkinghorse«, sagte die Frau und fror Moses’ Wutausbruch mit dem steten Blick ihrer grauen Augen ein. Dann wandte sie sich zu mir und sagte: »Ich bin Margo Combs, zuständig für die Aufnahme. Ich weiß, dass sich der Aufenthalt Ihres Bruders bei uns auszahlen wird, nicht nur für ihn, sondern für die gesamte Familie.« Wieder streckte sie mir ihre Hand entgegen. Wieder ergriff ich sie. Margo Combs erwiderte meinen Händedruck etwas länger als ich ihren.
    Moses gab einen Laut von sich, ein Stöhnen, das in ein Schluchzen überging.
    »Wir benötigen Ihre Unterschrift für eine zeitlich unbegrenzte Vollmacht«, sagte Margo Combs. »Sie müssen erklären, dass Ihr Bruder außer Stande ist, seine Angelegenheiten selbst zu regeln. Ich bin Notarin und werde das Dokument mit meinem Siegel versehen.« Sie drückte auf einen Knopf der Telefonanlage auf ihrem Schreibtisch und sagte: »Edgar, Harold, bitte kommen Sie zum Empfang.«
    Zwei Hünen in weißer Krankenhauskluft kamen durch eine Doppeltür, hinter der ein langer grüner Flur lag. Einer von ihnen hatte eine Zwangsjacke in der Hand. »Edgar und Harold werden als Zeugen fungieren«, sagte Margo Combs. Sie legte ein Formular auf den Schreibtisch, das unterschrieben werden sollte. Ich unterschrieb zuerst, dann Edgar und als Letzter Harold. Margo Combs beendete die Prozedur mit dem Abdruck des notariellen Siegels.
    »Bitte«, sagte sie mit Blick auf Moses, »alles ordnungsgemäß.«
    »Ich bin nicht handlungsunfähig, du Schlampe«, sagte Moses.
    »Das sieht Ihr Bruder anders«, erwiderte Margo Combs gelassen. »Es geschieht nur zu Ihrem Besten. Nach unserer Auffassung können Langzeit-Drogenabhängige nicht mehr die Verantwortung für sich selbst übernehmen, genau wie Personen, die an den verschiedenen Formen der Demenz erkrankt sind. Die meisten Gerichte und Appellationsgerichte sehen das im Übrigen genauso.«
    Panik erfasste Moses. Er sah Edgar und Harold an, sah die Zwangsjacke in Harolds Pranke und wandte sich zu mir. »Mein Gott!«, sagte er. »Unternimm was Uri, das können die doch nicht machen!« Er taumelte zur Seite, fing sich wieder und rannte los zur Tür. Harold holte ihn ein und brachte ihn zurück.
    »Bitte, Mr. Walkinghorse«, sagte Margo Combs, »Sie wollen doch nicht, dass wir Zwang anwenden müssen, oder?« Etwas in ihren Augen sagte mir, dass sie liebend gern miterlebt hätte, wie man Moses gegenüber Zwang anwendet. Zu mir sagte sie: »Von Ihnen benötigen wir noch einen Scheck für den ersten Monat der Behandlung, Mr. Walkinghorse. Siebentausendfünfhundert Dollar. Der Betrag für den ersten Monat deckt Kosten für einmalige Aufwendungen ab, die in den Folgemonaten nicht mehr in Rechnung gestellt werden. Der Beitrag sinkt dann auf sechstausend.«
    »Siebentausendfünfhundert?«, wiederholte ich.
    »Sie haben die erste Etappe des Weges hin zur Genesung bewältigt – das Verbot«, sagte sie. »Wir übernehmen jetzt, indem wir den Fall beurteilen und mit der Behandlung beginnen. Vielleicht ist es in einem Monat ausgestanden. In Anbetracht der renitenten Haltung Ihres Bruders allerdings gehe ich von neunzig Tagen aus, mindestens.«
    »Aber siebentausendfünfhundert«, sagte ich. »Ich bin sicher, das ist angemessen, wenn man bedenkt … «
    Moses, dem mein Tonfall nicht entgangen war, brach in triumphierendes Gelächter aus. »Er hat keine siebentausendfünfhundert! Er ist vollkommen blank! Er ist ein Penner, genau wie ich! Fragen Sie ihn doch mal, womit er seinen Lebensunterhalt

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