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Karambolage

Karambolage

Titel: Karambolage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Bauer
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Ideen. Am Tempo und an der Spielkonstanz müsse er allerdings noch arbeiten. Man könne an der Behebung dieser Schwächen im Anschluss an diese Partie noch ein wenig arbeiten.
    Ansonsten ging es eher schweigsam zu; hin und wieder ein ›Bon‹ von Lacroix, das war es aber auch schon. Sollten das die Herren sein, die hier auch einmal eine richtige Orgie feierten? Korber konnte sich das kaum vorstellen. Vielleicht war man ihm gegenüber nur vorsichtig und gab sich betont zurückhaltend. Vielleicht brauchte man auch absolute Ruhe zur Konzentration aufs Spiel. Oder war Fellner tatsächlich derjenige gewesen, der hier für Stimmung gesorgt hatte? Bei Korber stellte sich Langeweile ein, und seine Laune besserte sich erst, als die Kellnerin wieder auftauchte und er ein großes Bier bei ihr bestellen konnte.

     
    »Wie lange gibt es den Klub eigentlich schon?«, fragte er und machte einen großen Schluck.
    »Wir existieren seit mehr als 30 Jahren«, antwortete Neuling ein wenig irritiert. »Ich weiß nicht, war es die Idee von mir, von Viktor oder von unserem leider bereits verstorbenen lieben Freund Eugen.« Er stellte den Queue beiseite, um sich ganz seinen Ausführungen widmen zu können. »Das Burgstüberl war ja schon seit jeher unser Stammlokal, und wir verbrachten hier viele vergnügliche Abende. Irgendwie sind wir dann einmal nach ein paar Gläsern auf die Idee gekommen, das Hinterzimmer, das früher einmal als eine Art Fernsehraum gedient hatte – als es noch nicht selbstverständlich war, einen Fernseher zu besitzen, junger Mann –, für uns zu nützen. Wir malten uns aus, wie es wäre, wenn wir hier ein eigenes Billardzimmer hätten. Und dann kam einer von uns, ich weiß nicht mehr genau, wer es war, auf die Idee, einen Klub zu gründen und ihn ›Alt-Floridsdorf‹ zu nennen.«
    »Warum denn gerade ›Alt-Floridsdorf‹?«
    »Es war eine Zeit der großen Revolten«, begann Neuling ganz so wie Tucholskys schlechter Redner weit vor dem Anfang, »besser gesagt die Zeit nach den Studentenunruhen, die hier in Österreich ja Gott sei Dank die Ordnung nicht so erschüttert haben wie anderswo, aber immerhin. Man hatte trotzdem das Gefühl, dass kein Stein auf dem anderen geblieben war. Die Jugend lief ungewaschen und mit langen Haaren herum, sprach von freier Liebe und rauchte sich einen Joint. Keiner von denen wollte etwas arbeiten, keiner. Aber was erzähle ich Ihnen da, das wissen Sie ja sicher alles, Herr … äh … Korber. Sie sind übrigens dran.«
    Korber stieß kurz und unkonzentriert. Der Stoß ging daneben. Neuling fuhr fort: »Die Konstanz fehlt Ihnen, junger Mann, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf, die Konstanz. Und was hat der Jugend damals gefehlt? Die Werte! Die haben ja überhaupt allen gefehlt. Wer nicht jung war und keine wirren Ideen im Kopf hatte, dachte nur ans Geldverdienen, ein Auto, ein Haus. Reich wollten sie alle werden, und ihre Kinder sollten es besser haben als sie. Wo blieben da die Werte, wer verlor auch nur einen Gedanken an unsere schöne Heimat hier im Bezirk? Schauen Sie sich draußen um, Herr Korber. Das hier ist historischer Boden, der an die Donau grenzt, einen europäischen Fluss, unser Donaufeld. Vorne befindet sich unsere Pfarrkirche Sankt Leopold, die drittgrößte von ganz Wien, eingeweiht noch von unserem lieben Kaiser Franz Joseph. Aber das weiß ja keiner mehr. Wer kann mir heute noch das Mühlschüttel zeigen, wo die Zigeuner in ihren Wohnwägen gehaust haben, ehe sie es durch das Teppichverkaufen zu einem bescheidenen Wohlstand gebracht haben?«
    Fragend hielt er inne. Die anderen hatten die Partie unterbrochen und blickten ebenso fragend zurück. Man schien Neuling und die Ausführlichkeit seiner Ausführungen zu kennen. Lacroix betätigte nervös sein Handy. »Bonsoir Chérie«, turtelte er hinein. »Non, je ne serais pas tard. Ich komme, sobald es geht. Tschau.«
    Während sich Korber kurz fragte, wer wohl diese ›Chérie‹ sein mochte, erzählte Neuling weiter: »Damals kümmerte es viele nicht einmal, dass der Bundespräsident, unser geliebter Franz Jonas, ein waschechter Floridsdorfer war, ein Schriftsetzer, der aus einfachsten Verhältnissen bis an die Spitze unseres Landes gestoßen war; dass unser Finanzminister Androsch ebenfalls aus Floridsdorf kam und vorne am Gymnasium studiert hatte. Unser Bezirk erlebte eine Blüte seiner Geschichte, und niemand nahm Kenntnis davon. Da musste etwas geschehen. Wir haben deshalb diesen Klub damals einstimmig

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