Karambolage
informieren will. Ich möchte wissen, ob er überhaupt noch einen Ehrgeiz an den Tag legt und das Jahr positiv abschließen kann, Herr Professor. Sein Vater ist viel zu streng, seine Mutter zu weich. Ich sehe schon, ich muss mich wieder mehr um Oskar kümmern. Und wo wir doch hier gerade so beieinandersitzen …«
Korber war mit seinen Gedanken noch immer bei der Apotheke. Sowohl Oskar als auch Max Fürst hatten also Zugang zu Medikamenten. Eine interessante Perspektive im Zusammenhang mit Eduard Seidls Tod. Er versuchte, es in seinem müden Hirn abzuspeichern.
»Ja hören Sie denn nicht, Herr Professor? Seien Sie doch nicht gleich so eingeschnappt.« Olga kam wieder mächtig in Fahrt. »Mein Mann war sicher auch an Oskars schlechter Entwicklung schuld. Und jetzt, seit Georgs Tod, ist er total von der Rolle. Ich weiß aber nicht, wie ich ihm helfen soll.«
Korber zog es vor, weiter zu schweigen. Oskar kam von der Toilette zurück. Sofort wurde er wieder von Olga bearbeitet: »Jetzt hör einmal, Oskar, deiner Tante kannst du dich doch anvertrauen. Was ist denn los mit dir in letzter Zeit? Wir machen uns wirklich Sorgen um dich, deine Mutter und ich. Und damit meine ich nicht deine angebliche Verkühlung. Ist dir das wirklich so nahegegangen mit deinem Onkel? Schau mich an, was soll denn ich sagen …«
Olga quatschte und quatschte, und Korber fühlte sich immer mieser und mieser. »Der Herr Professor hat sicher ein offenes Ohr für deine Probleme«, hörte er Olga jetzt neben sich. Eine leichte Wut stieg in ihm auf. Wenn er nicht aufpasste, würde sie ihn noch in ein pädagogisches Gespräch mit Oskar verwickeln. Das war jetzt so ziemlich das Letzte, was er brauchte.
Was hatte er wirklich noch hier verloren? Gehässigkeiten, leere, floskelhafte Gespräche, Menschen ohne Seele, Marionetten gleich, eine ständig um eine Öffentlichkeit für ihre Anschuldigungen bemühte Olga Fellner – das war alles nur dazu angetan, seine ohnedies üble Laune noch zu verschlechtern. Der mäßige Weinkonsum hatte dagegen auch nicht geholfen. Er beschloss, sich zu verabschieden.
»Sie gehen schon?«, schnarrte Neuling verwundert.
Korber murmelte kurz etwas von einem schweren Schultag, den er vor sich hatte. Mitterhofer fand, man müsse trotzdem unbedingt noch rasch eine Extrarunde trinken. Schnell wurden die Gläser gefüllt, man prostete einander zu. Korber trank hastig, vielleicht eine Spur zu hastig. Neuling und Mitterhofer redeten auf ihn ein, man müsse die gemütliche Runde von vorgestern unbedingt demnächst wiederholen.
»Morgen sind wir leider beinahe alle auf dem Kommissariat vorgeladen«, stöhnte Neuling. Korber spürte wieder unangenehm seine körperliche Nähe und atmete seine Weinfahne ein. »Wer weiß, was dabei herauskommt. Aber Dienstag könnten wir eine Revanchepartie machen. Da spielen wir uns dann wirklich etwas aus, das müssen Sie uns versprechen. Mal sehen, ob Sie schon von unserer Übungsstunde profitiert haben …«
Korber schüttelte Hände, hörte nur mehr mit halbem Ohr zu, nahm die Herausforderung an. Olga Fellner und Oskar Fürst suchte er dabei vergeblich. Draußen im Garten sah er sie dann in einer Ecke stehen und tuscheln. Er winkte kurz hinüber. War es nur Einbildung, oder hörte er Olga dabei tatsächlich zu Oskar sagen: »Wolltest du mich beschützen, mein kleiner Liebling? Komm, sag es. Hast du es für mich getan?«
Korber wusste es nicht zu sagen. Sein Kopf summte, und er war im Augenblick nur mehr bedingt aufnahmefähig. Er blinzelte in die tiefe, kaum wärmende Abendsonne und beschloss, noch ein Stück des Heimwegs zu Fuß zurückzulegen.
12
Was tun mit dem angebrochenen Abend? Zum Nachhausegehen war es eigentlich noch zu früh. Korber überlegte einen Augenblick, ob er Leopold anrufen und mit den neuesten Entwicklungen versorgen sollte, aber dann ließ er es bleiben. Wozu das Ganze? Leopold war weit weg, in der Steiermark. Er verfolgte seine eigene Linie. Wenn Korber sich jetzt bei ihm meldete, würde er sich bloß erneut den gut gemeinten Ratschlag anhören müssen, nur ja schön brav das eigene Heim aufzusuchen. Und gerade das wollte Korber um keinen Preis.
Er wandelte geistesabwesend durch die mit Heurigenschenken links und rechts besetzte Straße. Jetzt, am Abend, wurde es hier merklich lauter, Musik drang durch Türen und Fenster. Aus einem der Lokale vernahm er ein lautes: »He, Professorchen, kommen Sie doch auf einen Schluck herein.« Freund Mundgeruch prostete ihm
Weitere Kostenlose Bücher