Karin Schaeffer 03 - Die stumme Zeugin
macht.«
»Ich werde Dathi fragen, was sie davon hält, aber ich kann Ihnen jetzt schon versichern, dass sie zustimmen wird.«
Und so kam es, dass wir am Nachmittag zusammen ins Krankenhaus fuhren. Kaum hatten wir ihr Zimmer betreten, richtete Abby sich in ihrem Bett auf. Dathi schnappte sich den Besucherstuhl, und ehe ich mich’s versah, steckten die beiden Mädchen die Köpfe zusammen. Abby fiel es deutlich leichter, sich zu bewegen, und im Unterschied zu ihrer Seele erholte sich ihr Körper von den Verletzungen. Da der Gips bald abgenommen wurde, begannen die Mädchen, jeden freien Quadratzentimeter mit Stiften zu bemalen. Danach borgte Dathi sich mein Handy, machte Fotos und mailte sie an ihr eigenes Postfach. Innerhalb weniger Stunden würde man die Aufnahmen auf ihrer Facebook-Seite bestaunen können.
Nach dem Unterricht am Freitag und am Samstagnachmittag schauten wir wieder bei Abby vorbei, und jedes Mal verlief das Beisammensein gleich: Die Mädchen tauchten in ihre eigene Welt ab, malten und knüpften Freundschaftsbänder; und während Dathi vorlas oder redete, hörte Abby ihr aufmerksam zu. Ich schlenderte derweil durch die Flure, stattete der Cafeteria und dem Geschenkartikelladen Besuche ab und saß gelegentlich im Warteraum, damit die Mädchen unter sich sein konnten.
Nach einem für mein Empfinden sehr langen Besuch war Dathi gerade dabei, ihre Jacke zu schließen und sich abermals von ihrer neuen besten Freundin, aber verrate das ja nicht Oja, zu verabschieden, als Pater X und Steve Campbell auftauchten. Schlagartig veränderte sich die Atmosphäre im Zimmer. Man merkte, dass sich Abby augenblicklich unwohl fühlte, sie starrte an die Decke und rührte sich nicht mehr.
»Hallo!« Steve reichte mir die Hand zum Gruß. »Wie ich hörte, sind Sie in letzter Zeit häufiger da gewesen. Schade, dass wir uns immer verpasst haben.«
»Die Mädels verstehen sich prima«, sagte ich. »Diese Woche haben wir Abby schon dreimal besucht. Doch wir bleiben hier nicht mehr lange.«
»Wäre schön, wenn die Mädchen sich auch in Zukunft träfen. Am Dienstag können wir Abby mit nach Hause nehmen«, verkündete Steve. »Habe die gute Nachricht eben erfahren. Ist das nicht toll, Abby? Linda ist daheimgeblieben und richtet gerade dein neues Zimmer ein.«
Abby klammerte sich an ihr Schweigen wie an einen Rettungsring.
»Na, ich muss noch eine ganze Reihe Papiere unterschreiben. Bin gleich wieder da.« Steve bedachte mich mit einem Lächeln, bevor er hinausging. »Wir sehen uns hoffentlich bald wieder.«
Ich mochte Pater X nicht mit Abby allein lassen, doch ehe mir eine Ausrede einfiel, noch nicht aufzubrechen, kam Dathi mir zuvor und ließ sich wieder auf den Stuhl fallen.
»Wir wollten uns nicht sofort verabschieden«, stellte sie klar und zog den Reißverschluss ihrer Jacke bis zum Kinn hoch. »Mir ist nur kalt.«
»Ich finde es hier ziemlich warm«, entgegnete Pater X. »Aber du bist ja ein anderes Klima gewöhnt, nicht wahr?«
Dathi und Abby schwiegen beharrlich und würdigten ihn keines Blickes, während ich ihn keine Sekunde aus den Augen ließ. Ich konnte den Mann auf den Tod nicht ausstehen, hasste alles an ihm: die geröteten Wangen, aus denen langsam die Farbe wich, seine feuchten Augen, seine tiefgefurchte Stirn.
Ich lehnte mich an die Wand, verschränkte die Arme vor der Brust und versuchte, es mir dort bequem zu machen. Dathi, ansonsten die Höflichkeit in Person, bot Pater X nicht ihren Stuhl an, sondern schnappte sich das Buch und las laut aus Hüter der Erinnerung vor. Pater X gähnte in einem fort und rührte sich nicht von der Stelle. Kaum kehrte Steve mit einem großen Umschlag in der Hand zurück, streifte Pater X seinen Mantel über. Dass der Priester den Besuch beenden wollte, versetzte Steve in Erstaunen.
»Jetzt schon?«, fragte er.
»Sie ist müde.« Pater X bedachte Abby mit einem dezenten Lächeln, das mir einen Schauer über den Rücken jagte. »Wir kommen morgen wieder, Schätzchen.«
»Dann wird Linda uns begleiten, okay?«, versprach Steve. »Sie hat mich gebeten, dir von ihr einen Kuss zu geben.« Er wagte es jedoch nicht, die Bitte seiner Frau in die Tat umzusetzen.
Sobald die beiden Männer weg waren, zog Dathi ihre Jacke aus, in der sie so geschwitzt hatte, dass ihre Hemdbluse ganz feucht war.
»Abby, Liebling.« Ich machte ein paar Schritte und stellte mich vor ihr Bett. »Hast du Angst vor Pater X? Kannst du Steve und Linda nicht leiden?«
Sie schaute mich kurz an,
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