Karin Schaeffer 03 - Die stumme Zeugin
Überwindung es einen kostete, die Vergangenheit ruhen zu lassen.
Aus diesem Grund sah ich davon ab, mit ihr über ihre Behauptung zu diskutieren. Stattdessen gab ich ihr noch einen Kuss auf die Stirn, schloss die Tür und ging nach oben, wo der Nachrichtensprecher die neuesten Nachrichten verkündete.
»An diesem überaus dramatisch verlaufenden Abend überschlagen sich wahrlich die Ereignisse. Während die Polizei sich nach besten Kräften darum bemüht, den Serienmörder zu identifizieren, hat ein enger Freund des Priesters, der vor kurzem verhaftet wurde, dem Vernehmen nach Selbstmord verübt. Steve Campbell, Lehrer der Sekundarstufe an einer öffentlichen Schule, ist vor wenigen Stunden von seiner Frau tot aufgefunden worden. Er hat sich an einem Abflussrohr in seinem Wohnhaus in Carroll Gardens erhängt.«
Der Sender zeigte eine Nahaufnahme von Steve Campbell, auf der ihn der Schulfotograf vor einem blauen Hintergrund abgelichtet hatte. Vermutlich stammte das Foto, das einen mindestens zehn Jahre jüngeren Campbell zeigte, aus einem alten Schuljahrbuch. Und nun sollte er tot sein? Da ich ihn erst vor wenigen Stunden noch gesehen hatte, schien mir das unvorstellbar. Zudem hatte er sich bei unserem letzten Zusammentreffen so darüber gefreut, dass Abby bald entlassen und fortan bei ihm und Linda leben würde.
Der Nachrichtensprecher berichtete das wenige, das er über Steve Campbell in Erfahrung gebracht hatte. Danach erschien ein leeres Podium auf dem Bildschirm, und eine Stimme aus dem Off meldete, dass der Polizeichef jeden Moment eine Pressekonferenz abhalten würde. Benommen schaltete ich den Fernseher aus. Ob die Presse in Erfahrung gebracht hatte, dass die Campbells Abbys Pflegeeltern waren? Stellte sie einen Zusammenhang zwischen dem Tod der Dekkers und den Prostituiertenmorden her? Falls ja, bewahrte sie darüber Stillschweigen.
War vielleicht Steve Campbell ›der andere Priester‹? Bei der Verhaftung von Pater X war er nirgendwo zu sehen gewesen. Hatte er sich beim ersten Anzeichen von Schwierigkeiten aus dem Staub gemacht? Durchaus vorstellbar.
Was spielte sich in dieser Kirche ab?
Mac und ich griffen gleichzeitig nach unseren Handys und wählten jede erdenkliche Nummer in der Hoffnung, Billy zu erreichen. Nach einer Weile war Mac dermaßen frustriert, immer wieder Billys Mailboxansage zu hören, dass er sein BlackBerry auf den Boden schleuderte. Ich hingegen umklammerte mein Telefon, als könnte ich es mit schierer Willenskraft dazu bewegen, mich endlich mit Billy zu verbinden.
Wir verfielen in Schweigen. Die Zeit schien stillzustehen. Irgendwann schaltete Mac den Fernseher wieder ein und sah sich noch einmal die Berichte an, die bereits gelaufen waren.
Ich beschloss, mit Dathi zu reden und sie zu fragen, was Abby ihr noch anvertraut hatte. Doch als ich ihre Tür öffnete, zeigte mir ihre gleichmäßige Atmung an, dass sie endlich eingeschlafen war. Sollte ich sie aufwecken? Lass die Kleine ruhen, sagte ich mir und machte auf dem Absatz kehrt.
KAPITEL 21
Wie so oft verflog am frühen Morgen die Zeit wie im Nu. Und so fand ich keine Zeit, mit Dathi zu reden, die vollauf mit Anziehen und Frühstücken beschäftigt war und dann zur Tür hinausstürmte, um den Schulbus zu bekommen. Nun musste ich mich bis zu ihrer Rückkehr von der Schule gedulden. Ich war mir allerdings nicht sicher, was bei diesem Gespräch herauskommen sollte. Die Ermittlungsarbeit schien inzwischen recht erfolgversprechend zu sein, und die Polizei würde bestimmt alles herausfinden. Jedenfalls redete ich mir das ein und dachte: Lass die Finger davon.
Nachdem ich Ben im Kindergarten abgeliefert hatte, begegnete ich in der Smith Street den drei Musketieren, die auf dem Weg zu ihrer Bushaltestelle waren. Ich blieb kurz stehen und schaute ihnen hinterher, als sie in Richtung Atlantic Avenue verschwanden. Seit ich wusste, wer sie waren, ihre Namen, Geschichten und Probleme kannte, fand ich sie nicht mehr unsympathisch. Im Gegenteil, sie taten mir leid. Wie eine Mutter wünschte ich ihnen das Beste, während ich mit dem Schlimmsten rechnete.
Sirenengeheul riss mich aus meinen Gedanken. Ein Streifenwagen raste auf die Court Street und die Kirche St. Paul’s zu. An der Kreuzung warf ich einen Blick in diese Richtung, um zu sehen, was dort passierte. Leider waren aus der Ferne nur geparkte Fahrzeuge mit eingeschaltetem Blaulicht zu erkennen. Dass die Ermittlung sich jetzt auf das Kirchengebäude konzentrierte, war nicht
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