Karin Schaeffer 03 - Die stumme Zeugin
Lippenstift verschmiert. »Woher hat er das Zeug?«
Ich beugte mich nach unten, um den Inhalt genauer zu inspizieren. In der Tüte befand sich nur Frauenkleidung: hautenge goldene Leggings, schwarze Netzstrumpfhosen, knappe, schulterfreie Oberteile, superkurze Miniröcke. Das aus der Tüte aufsteigende Parfüm löste bei mir Brechreiz aus.
»Was läuft da bei Billy?« Das purpurfarbene Oberteil stopfte ich in die Tüte zurück.
»Eigenartig«, entgegnete Mac kurz angebunden und weigerte sich beharrlich, seine offensichtlichen Befürchtungen laut auszusprechen.
»Wir müssen mit La-a reden«, meinte ich.
»Zuvor sollten wir sie anrufen.«
»Gar keine gute Idee. Sollten sie seine Bude auf den Kopf stellen, ist Billys Karriere futsch, auch wenn sie nichts finden.« Dann konnte er seinen Beruf an den Nagel hängen: arbeitslos wegen eines unbegründeten Verdachts. »Wir statten ihr einen Besuch ab und reden mit ihr von Angesicht zu Angesicht. Nur um sicherzugehen.« Am liebsten hätte ich die Tüte mit den Kleidungsstücken mitgenommen, doch mir war klar, dass ich alles so lassen musste, wie wir es vorgefunden hatten. In dem Moment zeigte sich, dass ich im Herzen zuerst Polizistin und dann Freundin war. Gehörten diese Kleidungsstücke den Opfern, konnte Billy nicht auf mich zählen.
* * *
Als wir auf dem 84. Revier in den SOKO-Besprechungsraum stürmten, blieb mir fast das Herz stehen. Billy saß auf einem Drehstuhl am anderen Ende des Tisches. Seine Füße, die in staubigen Cowboystiefeln steckten, lagen auf der Tischplatte. Neben ihm las George Vargas etwas auf einem Computermonitor. La-a stand vor der Wand, studierte neue Aufnahmen und unterhielt sich dabei mit einem Mann, der mitschrieb.
»Du lieber Himmel!«, entfuhr es Mac bei Billys Anblick.
»He! Compadres !« Billy nahm die Füße herunter, beugte sich vor und grinste. »Was bringt euch denn hierher?«
»Wir versuchen schon eine ganze Weile, dich zu erreichen.« Ganz bewusst schlug ich einen ernsten, leicht vorwurfsvollen Ton an.
»Hm, sorry. Mein Akku war leer, und der Keller meiner Schwester steht unter Wasser. Rohrbruch im Badezimmer. Ich musste ihnen beim Ausräumen helfen. Das war vielleicht eine Schweinerei.« Seine Miene verdüsterte sich. »Was liegt an?«
Sollte ich jetzt erst recht wütend werden oder erleichtert sein? Was ich gerade empfand, tat im Grunde genommen nichts zur Sache. »Wieso bewahrst du in deinem Schlafzimmer eine Tüte mit billigen Frauenklamotten auf?«
»Wow!« Zorn blitzte in seinen Augen auf. »Ihr wart in meiner Wohnung?«
Mac baute sich zwischen Billy und mir auf. »Wir haben uns solche Sorgen um dich gemacht und sind deshalb in deine Wohnung gegangen.«
Kurz sah es so aus, als würde Billy sich an Mac vorbeizwängen. Stattdessen sagte er ernüchtert: »Diese Klamotten sind von meiner Nichte, und ich wollte sie Dathi geben ... Ach, vergesst es.«
»Deine Schwester lässt ihre Tochter wie eine Nutte rumlaufen?«
Billy funkelte mich wütend an. Ein Kollege auf der anderen Seite des Raumes verkniff sich ein Lachen.
»Dachtest du allen Ernstes, Dathi würde solche Fummel tragen?«
»Ich habe mir die Sachen nicht angeschaut, Karin. Ich habe die Tüte geschnappt, sie daheim in eine Ecke geworfen und bin aufs Revier.«
La-a wandte sich zu ihm um. »He, Billy, wir haben zu tun.«
»Was soll das, Dash? Du hast gerade zwanzig Minuten mit einem von deinen Kindern telefoniert!«
»Du machst dich vom Acker, während wir uns abplagen, tauchst später wieder auf, tust ganz locker und bildest dir ein, der Rest von uns, der die ganze Nacht durchgeschuftet hat, darf nicht mit seinen Kindern reden?«
»Halt die Luft an ... Ich hatte frei.«
»Na, heute aber nicht! Vielleicht solltest du deine Freunde bitten, dich irgendwann anders zu besuchen.«
George Vargas schaute vom Monitor auf. Die Auseinandersetzung der beiden schien ihn zu interessieren.
Billy starrte seine Kollegin an. »La-a, weißt du, was? Ich bin nicht dein Mann, falls du das vergessen hast.«
Ihre Augen wurden ganz schmal. »Dich würde ich nie und nimmer heiraten, selbst wenn du der letzte Mann auf Erden wärst.«
»Gut. Dann sind wir uns ja wenigstens in dem Punkt einig.«
»Lass uns verschwinden«, wisperte Mac mir zu. »Wir haben ihn gefunden, und wie es aussieht, sind diese Klamotten -«
In dem Augenblick kam die junge Polizistin, die ich durch die Kirchenfenster gesehen hatte, mit einem Karton herein und sprach mich sofort an. »Hallo, Karin.
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