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Karin Schaeffer 03 - Die stumme Zeugin

Karin Schaeffer 03 - Die stumme Zeugin

Titel: Karin Schaeffer 03 - Die stumme Zeugin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Pepper
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Waffe?«
    »Nichts.« Er schluckte wieder. Seine Frustration konnte ich gut nachempfinden. Falls sie die Waffe fänden, würden sie endlich etwas Handfestes haben, um voranzukommen. Falls.
    Ich wechselte das Thema. »Chali hat Ben heute nicht vom Kindergarten abgeholt.«
    »Hm.«
    »Und sie hat sich auch nicht gemeldet.«
    Jetzt hatte ich ihn an der Angel. Er sagte zwar nichts, aber ich wusste, dass er nun ganz bei der Sache war.
    »Ich mache mir ihretwegen Sorgen«, fuhr ich fort.
    »Ihr geht’s garantiert gut.«
    »Versuch nicht, mich zu beschwichtigen, Billy.«
    »Ihr ist etwas dazwischengekommen, Karin. So was passiert immer wieder mal. Sie wird sich morgen bei dir melden.«
    So reagierte Billy immer, wenn er wusste, dass Grund zur Sorge bestand: Er argumentierte ganz rational. Ich wollte schon anführen, dass Chali nicht zu den Menschen gehörte, die einen warten ließen oder ihren Verpflichtungen nicht nachkamen, und dass sie sich immer meldete.
    Aber ehe ich meine Einwände äußern konnte, hörte ich Janine mit lauter Stimme rufen: »William Luther Staples, beweg deinen trägen Hintern und komm wieder nach unten!«
    »Luther?«, fragte ich kichernd. »Wie diese Bluesrock-Band Luther the Devil?«
    »Sehr witzig, Karin. Dieser Name hat in unserer Familie Tradition. Tschüs.«
    * * *
    Am nächsten Morgen lieferte ich Ben im Kindergarten ab, holte für Mom das neue Schmerzmittel und versprach ihr, sie nach Hause zu bringen, sobald es wirkte. Als ich mich dann ein weiteres Mal verabschiedete, hing Mac im Wohnzimmer auf einem Sessel, und Mutter lag bäuchlings auf dem Bettsofa. Ich kam mir wie eine Krankenschwester vor, die ihre Pflichten vernachlässigte, aber ich musste noch einmal fort, und zwar rasch, denn in zweieinhalb Stunden erwartete Ben, vom Kindergarten abgeholt zu werden. Dass Chali dort auftauchte, bezweifelte ich sehr angesichts meines unguten Gefühls.
    Ich fischte Chalis Ersatzschlüssel aus der Schale neben der Eingangstür. Sie hatte ihn bei uns deponiert für den Fall, dass sie ihren verlor. An dem Schlüsselring hingen ein Haus- und ein Wohnungsschlüssel und eine kleine weiße Feder, damit man ihn zwischen den vielen anderen Schlüsseln leichter finden konnte. An dem Tag, an dem sie mich gefragt hatte, ob sie ihren Ersatzschlüssel bei uns hinterlegen könnte, war mir klargeworden, dass sie nur wenige Freunde in New York hatte. Sie war in dieses Land gekommen, um zu arbeiten, um ihre Familie in der alten Heimat finanziell zu unterstützen – und nicht, um ein geselliges Leben zu führen. Dass die Immigranten in unserer Stadt bis zum Umfallen arbeiteten, jeden Cent, den sie erübrigen konnten, sparten und ihr ganzes Augenmerk auf die Zukunft richteten, war ein weitverbreitetes Phänomen. Ich erinnerte mich, wie sehr ich mich geehrt gefühlt hatte, als Chali uns ihre Ersatzschlüssel anvertraut hatte. In jenem Moment begriff ich, dass sie nicht länger nur unsere Babysitterin war, sondern sich unsere Beziehung zu einer Freundschaft weiterentwickelt hatte. Ich steckte die Schlüssel in meine Tasche und verließ das Haus.

KAPITEL 7
    Ich nahm eine U-Bahn der Linie R und stieg in Sunset Park an der Station 36th Street/4th Avenue aus. Oben empfing mich ein kräftiger Wind. Ich zog die Mütze tiefer in die Stirn, schob den Schal bis unters Kinn und stapfte die breite Avenue Richtung 33th Street hinunter. Es war ein trostloser Weg, der mich an einer Bodega, einer Kombination aus Waschsalon und Friseur, einem Beerdigungsinstitut, zwei Bars und kurz vor meinem Ziel an einer Tankstelle vorbeiführte. Das Viertel passte zu dem Leben der Menschen, die hier wohnten: ein Dasein, geprägt von Härten, dem Überlebenskampf, der Einsamkeit und der nicht enden wollenden Arbeit. Ein paar Fenster allerdings waren mit weihnachtlichen Lichterketten geschmückt und führten mir vor Augen, wie trügerisch der erste Eindruck manchmal sein konnte. So unterschiedlich die Menschen waren, so verschiedenartig ihre Geschichten. Ich dachte an Chali und all die Gründe, die sie veranlasst hatten, Indien den Rücken zu kehren – wie sie noch als Kind mit einem viel älteren Mann verheiratet worden war, wie sein Tod sie mittellos gemacht und ihr gleichzeitig die Freiheit geschenkt hatte. Wie sie ihre geliebte Tochter zurücklassen musste, um hier ein neues Leben zu beginnen, was sicherlich keine leichte Entscheidung gewesen war. Und wie sie sich nicht unterkriegen ließ, wie sie unermüdlich und zielstrebig auf eine bessere

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