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Karin Schaeffer 03 - Die stumme Zeugin

Karin Schaeffer 03 - Die stumme Zeugin

Titel: Karin Schaeffer 03 - Die stumme Zeugin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Pepper
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des Paters sie noch mehr verstörte.
    »Ich soll mein gesundes Auge trainieren«, sagte Billy.
    Daraufhin drehte Abby den Kopf, blickte ihn flüchtig an und legte die Stirn in Falten. Die Gegenwart eines großen Schwarzen mit Augenklappe schien sie nicht zu erfreuen. Danach schaute sie mich an, und ich hätte schwören können, dass ein leises Lächeln ihre Lippen umspielte, ehe sie den Blick abwandte.
    »Oder ich könnte ihr vorlesen«, bot ich spontan an. »Ich lese meinem Sohn häufig vor. Ist Die Zeitfalte noch aktuell?«
    Sasha nahm das Buch auf, das neben dem Frühstückstablett auf dem Tisch lag.
    Abby sah mich erneut an, und diesmal verharrte ihr Blick. War das als Zustimmung gemeint?
    »Was halten Sie davon, wenn ich ihr ein bisschen vorlese, bis der ehrenamtliche Mitarbeiter auftaucht?«
    Sasha seufzte. Gewiss war sie es nicht gewöhnt, dass Besucher so fordernd auftraten. Oder mein Verhalten war ihr unangenehm, aber sie hatte nicht die Energie, mich zurückzuweisen.
    »Ich bin noch etwa eine Stunde auf dieser Etage«, antwortete sie. »Und da Sie zu ihm gehören, wird das wohl in Ordnung gehen.« Mit »ihm« war Billy gemeint, der in seiner Funktion als Polizist trotz Abbys augenscheinlichem Unbehagen sie offiziell bewachen durfte. Bei dieser Gelegenheit konnte er Abby noch ein wenig länger beobachten, denn immerhin bestand die Möglichkeit, dass sie – ob es dem Krankenhaus nun behagte oder nicht – Kronzeugin in einer laufenden Ermittlung war.
    Auf dem Weg nach draußen drückte Sasha mir das Buch in die Hand. Ich rückte den Besucherstuhl an Abbys Bett, während Billy sich so hinstellte, dass sie ihn nicht sah und er sie dennoch beobachten konnte. Ich schlug das Buch dort auf, wo Pater X das Lesezeichen eingefügt hatte: Kapitel sieben – Der Mann mit den roten Augen.
    Abby richtete ihre Augen auf die grauen Deckenquadrate, während ich ihr vorlas. Ich hatte vollkommen vergessen, wie sehr ich diese Geschichte über Meg mochte, die auf der Suche nach ihrem verschwundenen Vater in die fünfte Dimension reiste. Ich hatte diesen Roman in der Schule gelesen und war davon so fasziniert gewesen, dass ich mir für ein, zwei Tage einbildete, Meg zu sein. Ihre Intelligenz und ihr Mut inspirierten mich: Dieses sture, kluge und mutige Mädchen, das unter der Frauenfeindlichkeit der fünfziger Jahre litt, ließ sich weder von vermeintlichen Tatsachen beeindrucken, wenn sie der Überzeugung war, es besser zu wissen, noch akzeptierte sie ein Nein als Antwort. Zu meiner Zeit – in den achtziger Jahren – konnte ich nicht nachvollziehen, welchen Aufruhr der Roman bei seinem Erscheinen ausgelöst hatte, bis meine Mutter mir erklärte, dass Mädchen in den Fünfzigern eigentlich überhaupt nicht ernst genommen wurden. Jetzt, wo ich wieder in Megs Welt eintauchte, spürte ich beim Lesen die Aufregung von damals und erinnerte mich, dass ich seinerzeit beschlossen hatte, meine Tochter Margaret oder Meg zu nennen, sollte ich jemals Mutter werden. Warum war mir das entfallen? Wieso hatte ich meine Tochter Cece genannt – nach der verstorbenen Mutter meines ersten Mannes? Wie es aussah, hatten uns nach dem Tod seiner Mutter, die wir sehr vermissten, andere Dinge umgetrieben.
    Morgen würde Neujahr sein: der vorhergesagte Geburtstermin des Kindes, das ich tot geboren hatte. Hätte ich daran gedacht, meine kleine Tochter Meg zu nennen?
    Ich las eine gute halbe Stunde, ehe Abby einschlief. Billy stand reglos und mit vor der Brust verschränkten Armen in der Ecke. Er hatte sich wieder beruhigt und machte einen nachdenklichen Eindruck. Da auf einmal das Lesezeichen unauffindbar war, knickte ich die obere Ecke der Seite um und legte das Buch auf den Stuhl, den ich am Bett stehen ließ, um keinen Lärm zu machen. Zusammen mit Billy verließ ich das Krankenzimmer.
    »Heute ist Silvester«, sagte ich auf dem Weg zum Lift. »Hast du Pläne?«
    »Ich schmeiße eine Riesenparty. Zu dumm, dass du leider nicht kommen darfst.«
    In all den Jahren, die wir befreundet waren, hatte er noch keine einzige Party veranstaltet.
    »Auf gar keinen Fall verbringst du den heutigen Abend im Brooklyn Inn. Du kommst zu uns, und wir trinken ein Glas Champagner. Und nach Mitternacht gestatten wir dir gnädig, nach Hause zu gehen.«
    »Willst du mich in Geiselhaft nehmen?«
    »Wenn es sein muss.«
    Wir erreichten den Fahrstuhl.
    »Landet morgen nicht Chalis Kind?«, fragte er mich mit neugieriger Miene.
    »So ist es.«
    »Ziehst du die Sache

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