Karin Schaeffer 03 - Die stumme Zeugin
bis über beide Ohren. »Zwick mich mal!«, bat sie Fremont.
Er brach in schallendes Gelächter aus.
»Super, Karin!«, rief Mary aus. »Eben habe ich noch zu Fremont gesagt, wie gern ich früher mit ihm gespielt und herumgetollt habe. Und ich würde alles dafür tun, um für einen Privatdetektiv zu arbeiten. Wirklich alles.«
»Dann nehmen Sie mein Angebot an?«
»Ich habe schon überlegt, woher ich das Geld für die nächste Miete kriegen soll.«
Fremont warf ihr einen besorgten Blick zu. »Das wusste ich nicht, Mom.«
»Schon gut. Ich habe gerade zwei neue Stellen an Land gezogen! Was habe ich dir gesagt? Wenn sich eine Tür schließt, öffnet sich irgendwo eine andere.«
»Könnten Sie morgen Nachmittag vorbeikommen?
Dann können Sie Mac kennenlernen, und wir sprechen die Details durch.«
»Perfekt.«
Wir gingen in verschiedene Richtungen, drehten noch mal die Köpfe und winkten uns zu. Einer wildfremden Frau so ein Angebot zu machen barg ein gewisses Risiko, doch ich hielt es für eine ausgezeichnete Idee, zumal ich Mary für kompetenter als Star hielt. Und auch wenn es unter Umständen auf lange Sicht nicht funktionierte, war es kein Fehler, es mit ihr zu probieren. Möglicherweise war das der »wahre« Grund, weshalb ich die drei Musketiere heute Morgen bis zur Classon Avenue verfolgt hatte! Oder vielleicht war es Karma, dass Mary mir genau in dem Moment über den Weg lief, wo wir einander brauchten? Oder traf am Ende gar beides zu: Mein Wissensdurst hatte mich veranlasst, den Musketieren nachzugehen, und mein Karma hatte mich Mary treffen lassen?
Während ich die Atlantic Avenue überquerte und auf den Boerum Place zusteuerte, rief ich Mac an und erzählte ihm die Neuigkeiten. Er reagierte prompt und heftig.
»Du hast was gemacht?«
Ich begann noch mal von vorn mit meiner Schilderung der Ereignisse.
»Wir reden später«, sagte er und hängte auf, als im Hintergrund etwas scheppernd zu Boden fiel. Dem entnahm ich, dass Star zur Arbeit erschienen war. Mac würde mir schon noch dankbar sein für meine heutige Entscheidung, redete ich mir ein.
Als Nächstes rief ich Billy an und erzählte ihm von meinem zufälligen Zusammentreffen mit Mary. Dass ich den drei Musketieren zur Methadon-Klinik gefolgt war, behielt ich für mich. Aller Wahrscheinlichkeit nach hieß er es nicht gut, dass ich im Dekker-Fall auf eigene Faust ermittelte, und da ich nur mit seiner Hilfe herausfinden konnte, wer sie waren, musste ich den richtigen Zeitpunkt abpassen.
»Was bringt dich denn auf die Idee, eine Tai-Chi-Lehrerin anzuheuern?«
»Sie sucht Arbeit, und ich finde sie großartig.«
»Gut.« Bei ihm läutete ein Telefon, und jemand rief lautstark nach einem Kollegen. Dass er auf dem Revier war, beruhigte mich irgendwie.
»Wusstest du, dass ihr Sohn schwarz ist?«, fragte ich Billy.
»Halb schwarz. Sie hat mir die Geschichte erzählt. Damals lebte sie mit ihrer Freundin zusammen und hat sich künstlich befruchten lassen. Sie dachte, das wäre eine längerfristige Geschichte. Zu dumm, dass die Beziehung die Elternschaft nicht überlebt hat.«
»Nun, der Junge macht einen netten Eindruck. Mutter und Sohn stehen sich offenkundig sehr nahe.«
»Sie ist ganz verrückt nach ihm, so viel ist sicher.«
»Billy, kannst du mir einen Gefallen tun? Könnte ich kurz bei dir auf dem Revier vorbeischauen?«
»Wann?«
»Jetzt gleich?«
»Was, wenn ich dir sagen würde, dass ich gar nicht auf dem Revier bin.«
»Dann würde ich dir sagen, was für ein schlechter Lügner du bist.«
Nach dem Telefonat schickte ich Mac eine SMS, schrieb, dass ich noch etwas zu erledigen hatte, und fragte ihn, ob er Ben abholen könnte. Er antwortete sofort und sagte zu, für mich einzuspringen. Erleichtert steckte ich das Handy in meine Handtasche und machte mich auf den Weg zum 84. Polizeirevier.
KAPITEL 16
Zum ersten Mal betrat ich das Besprechungszimmer, das dem Team für die Suche nach dem Prostituiertenmörder zur Verfügung gestellt worden war. Die ein Dutzend SOKO-Mitglieder, die seit zwei Jahren zusammenarbeiteten – zuerst in Manhattan und nun in Brooklyn -, pflegten nach all der Zeit einen kameradschaftlichen Umgang. Sie hatten sich an dem langen, den Raum dominierenden Tisch und an den beiden Arbeitsplatten an der Wand ausgebreitet. Überall standen Laptops, Drucker, Kaffeebecher und sogar ein paar Fotos von lächelnden Familienangehörigen. Angesichts der zahllosen bestürzenden Tatortfotos an der Wand und der Tatsache, dass
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