Karl der Große: Der mächtigste Kaiser des Mittelalters - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
in drei Parzellen unterteilt wird: die sogenannte Dreifelderwirtschaft. Auf einer der Flächen wächst Sommergetreide, auf der zweiten Winterkorn, die dritte liegt brach. Auch nach diesem System werden die Parzellen in ständigem Wechsel bebaut, der Boden regeneriert sich durch die abwechslungsreichere Nutzung besser – und bringt immerhin 30 Prozent mehr Frucht als nach der alten Methode. Darüber hinaus lassen sich durch zwei Ernten pro Jahr Ertragsschwankungen ausgleichen.
Das Leben auf den Höfen wird durch die Abfolge der Jahreszeiten bestimmt: Im Januar bessern die Bauern ihre Hütten aus, im März und April jäten sie Unkraut und beschneiden, wenn sie welche haben, ihre Weinstöcke, und später im Frühling treiben sie Schafe und Rinder auf die Weide hinaus. Im Juni beginnt das Pflügen, eine der härtesten Arbeiten. Die meisten Bauern verfügen nur über einen primitiven hölzernen Hakenpflug, der mangels Nägeln von Weidenruten zusammengehalten wird und kaum ins Erdreich eindringt. Lediglich Privilegierte können einen Wagenpflug (carruca) mit Vorderrädern, Streichbrett und Schar einsetzen, mit dem sich die Furchen tiefer ziehen sowie die Schollen schneiden und wenden lassen.
Im Juli dann mähen die Bauern mit der Sense Gras als Viehfutter für den Winter. Da die Ähren brüchig sind, müssen Hafer und Gerste im August mühevoll auf den Knien mit der Sichel geerntet werden. Im September säen die Bauern Roggen, Weizen und Dinkel. Oft sind es Frauen, die das Saatgut im umgeschlagenen Obergewand mit sich tragen und von Hand aussäen.
Im Oktober beginnt vielerorts die Weinlese. Da Keltern meist fehlen, zerstampfen die Bauern ihre Trauben oft nur mit bloßen Füßen. Im November und Dezember treiben sie ihre Schweine zur Eichelmast in die Wälder. Und schließlich schlachten die Bauern diejenigen Tiere, die ihre »völlige Mästung mit ihrem aufgeblähten Wanst bekunden«, um sie dann »in warmen Rauch zu hängen, nachdem man zuvor ihre Haut mit einer Salzlake besprengt hat«, wie ein Gedicht überliefert. Diese Abfolge bäuerlicher Tätigkeiten, die in zahlreichen mittelalterlichen Kalendern verewigt ist, stellt die tatsächlichen Verhältnisse allerdings idealisiert dar. Oft verderben Unwetter die Ernte, grassieren Viehseuchen, oder der schmale Geldbeutel einer Familie lässt nicht einmal den Kauf eines Ferkels zu. Dann bleibt den Menschen nur die Hoffnung auf eine höhere Macht, die sie aus ihrer Not befreien könnte.
Christliche und heidnische Traditionen und Glaubensvorstellungen vermischen sich im Reich. Viele Bauern bringen heiligen Bäumen, Felsen oder Quellen Opfer dar, obwohl Kirche und König im Namen des Herrn dagegen ankämpfen. Wer einen Baum oder eine Quelle anbetet, hat bis zu 30 Schilling Strafe zu bezahlen – den Preis für 15 Kühe oder ein bis zwei Sklaven. Opfer zu Ehren der alten germanischen Götter Odin und Donar lässt der König ebenfalls verbieten.
Viele Menschen sehen in geheimnisvollen Erscheinungen am Sternenhimmel Vorzeichen von Katastrophen und versuchen, gegen sie anzukämpfen. Als sich der Geistliche Rabanus Maurus eines Abends zum Bibelstudium zurückzieht, schreckt ihn gewaltiger Lärm auf. »Man hörte das Getöse von Hörnern, als ob zum Krieg gerufen werde, man sah Männer, die Pfeile und Geschosse in Richtung des Mondes schleuderten, andere, die Feuerbrände nach allen Himmelsrichtungen warfen«, notiert er. »Sie versicherten, dass irgendwelche Ungeheuer den Mond bedrohten und ihn verschlingen würden, wenn sie keine Hilfe leisteten.« Auf kirchlichen Synoden werden solche Rituale aus vorchristlicher Zeit regelmäßig angeprangert. Viele Untertanen Karls des Großen halten dennoch an ihnen fest.
Manche Geistliche missbrauchen die Ängste und den Aberglauben der Menschen: Das Wasser aus dem Brunnen am Grab des heiligen Germanus in Auxerre verkaufen Mönche für hohe Summen. Und als Pilger am Grab des Bischofs von Uzès epileptische Anfälle erleiden und verängstigte Menschen sich bemühen, den Zorn des Heiligen durch Gold und Silber zu besänftigen, geht bald das Gerücht, Geistliche aus einem nahen Kloster hätten Simulanten bezahlt, um sich an den Opfergaben zu bereichern.
Aus einer Rabanus-Maurus-Handschrift:
Lehrszene in der Klosterschule.
Bridgemanart.com
Viele andere Klöster sind jedoch Leuchttürme des Wissens und der Bildung. Mönche bewahren in ihren Bücherstuben neben geistlicher Literatur auch Werke zur Historie und Philosophie aus der Antike
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