Karl der Große: Der mächtigste Kaiser des Mittelalters - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Arbeit überwachen sollen. »Hier verspricht mir jemand eine Kristallschale und Perlen aus dem Orient, wenn ich ihm den Gutsbesitz eines anderen verschaffe. Dort bietet mir ein anderer einen ganzen Haufen Goldmünzen«, notiert ein solcher Kontrolleur über seinen Alltag. Bei mangelnder Beweislage bemüht die Justiz weiterhin sogenannte Gottesurteile: Wer etwa des Ehebruchs verdächtigt wird, muss mit bloßem Arm einen Ring aus einem Kessel mit kochendem Wasser fischen. Sind Hand und Arm danach unversehrt, so ist die Unschuld des Angeklagten bewiesen.
Obwohl Karl zahlreiche Reformen anstößt, verbessert sich die Situation seines Volkes kaum. Und als der Herrscher im Januar 814 stirbt, leben noch immer mehr als 90 Prozent seiner Untertanen unter prekären Bedingungen. Bildung oder sozialer Aufstieg sind für fast alle Bauernkinder unerreichbar geblieben. Und immer wieder kommt es auf dem Land zu gewaltigen Hungersnöten.
Erst vom 11 . Jahrhundert an, zu Beginn des Hochmittelalters – als Karl der Große und das Frankenreich längst Legende sind –, wird sich die Versorgungslage in Europa nachhaltig verbessern. Und es sind weder ein König noch Adelige oder der Klerus, sondern die Bauern selbst, die diesen Fortschritt ermöglichen: In Handarbeit roden sie riesige Wälder und wandeln sie in zusätzliche Ackerflächen um. Sie verbessern Sense und Pflug, die wichtigsten Landwirtschaftsgeräte des Mittelalters. Und immer mehr Bauernfamilien lösen sich von veralteten Anbaumethoden und übernehmen die ergiebigere Dreifelderwirtschaft.
Erst diese Errungenschaften machten es nach der Jahrtausendwende möglich, dass die Bevölkerungszahl in weiten Teilen Europas auf das Dreifache dessen steigen konnte, was in karolingischer Zeit normal war.
Umerziehung im Tann
Er predigte gegen Zauberei, fällte die »Donar-Eiche« und bekehrte Abertausende heidnischer Germanen. Vor fast 1300 Jahren erlag Bonifatius, Apostel der Deutschen, einem rätselhaften Attentat.
Von Matthias Schulz
Als Greis, er war schon etwa 80 Jahre alt, zog der Erzbischof noch einmal los, um endlich auch die Verstocktheit der Friesen zu brechen. Bei Dokkum (Niederlande), nahe der Nordseeküste, errichteten seine frommen Begleiter das Zeltlager. Für den nächsten Tag war eine Firmung angesagt. Doch im Morgengrauen tauchten Räuber auf und schlugen dem Bekehrer den Kopf ab. Es war der 5 . Juni 7 54 .
Geschätzte 30 0 00 Kilometer hatte der brave Mann zuvor im Auftrag des Papstes im rauen Germanien zurückgelegt, um auch dort »Gottes Ernte abzumähen und die Garben der heiligen Seelen in die Scheune des Himmelreichs einzubringen«.
Sprachgewaltig, mit Kutte und Sandalen, zog Bonifatius umher. Er predigte in Bayern, gründete Klöster in Thüringen und wagte sich ins Gebiet der zornigen Sachsen. Seine größte Tat: Bei Geismar fällte er die »Donar-Eiche«, den Kultbaum der Ur-Hessen.
»Baumeister unseres Kulturkreises« wurde der Missionar genannt. »Das Fundament eines einheitlichen Europas« habe er gelegt, so sieht es der Paderborner Geschichtsprofessor Lutz von Padberg. Die Kirche verlieh ihm den Ehrentitel »Apostel der Deutschen«. Dabei lagen seine Wurzeln im Ausland. Geboren in Südengland, entstammte Bonifatius einer Familie, die rund 200 Jahre zuvor von der Elbe ausgewandert war. Die Eltern gaben das Kind als »Geschenk Christi« ins Kloster Wessex, wo klein Wynfreth, wie er damals noch hieß, eine umfassende Bildung erhielt. Dann, im Jahr 716 , brach der 40 -Jährige ins grause Land der Ahnen jenseits des Kanals auf.
Zwar hatten die Franken im 8 . Jahrhundert in Zentraleuropa ein mächtiges christliches Staatsgebilde erschaffen. Doch an den Randzonen ihres Reiches, wo die Stämme der Bajuwaren, Chatten, Thüringer und Sachsen lebten, gedieh der Götzendienst. »Amulette« trügen die Leute dort, heißt es in einer Chronik. Sie ließen Hörner tönen, um das Böse fernzuhalten; Wahrsager deuteten ihnen die Zukunft aus toten Pferden, Vögeln und auch aus Stäben mit eingeritzten Runen. Um in diesem gefährlichen Umfeld arbeiten zu können, holte sich der Bekehrer zuerst Rückendeckung vom Papst, der ihn im Jahr 722 zum »Missionsbischof« erhob. Dann bemühte er sich um einen Schutzbrief beim starken Mann der Franken, Karl Martell. So gerüstet, strebte der Bekehrer zuerst nach Hessen. Mit einem Tross von Mönchen, Handwerkern und Dienern quälte er sich über schlammige Wege in eine Welt des Aberglaubens und der ärmlichen
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