Karl der Große: Der mächtigste Kaiser des Mittelalters - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
dürfen sich die Unfreien in den bedrohten Gebieten nicht bewaffnen. »Wenn ein Knecht angetroffen wird, der eine Lanze trägt, soll diese auf seinem Rücken zerbrochen werden«, lautet eine Weisung des Königs. Wahrscheinlich will er auf diese Weise Aufständen vorbeugen. Dabei ist den Leibeigenen im Frankenreich trotz Ausbeutung und Schinderei gar nicht nach Rebellion zumute. »Als Adam grub und Eva spann, wo war denn da der Edelmann?«, wird das aufgebrachte Volk erst Jahrhunderte später, im Zuge der Bauernrevolten der Frühen Neuzeit, skandieren.
Etwas besser gestellt sind die sogenannten Hufenbauern. Viele von ihnen gelten nach wie vor als Freie. Doch im Lauf des 8 . Jahrhunderts haben die meisten selbständigen Bauern ihre Arbeitskraft und ihre Anbauflächen gegen die Erlaubnis eingetauscht, diese Felder (als sogenanntes Hufenland) bis an ihr Lebensende weiter bewirtschaften zu dürfen. Dafür beschützt ein Lokalfürst sie nun als Grundherr gegen Überfälle von Räubern und Kriegern – schon damit sein neu erworbener Besitz keinen Schaden nimmt. Als Gegenleistung müssen die Bauern ihm Getreide und Schlachtvieh liefern, Pachtgebühren entrichten und jährlich bis zu 30 Wochen Frondienste leisten. Meist war es die Angst ums nackte Überleben, die die Bauern in die Abhängigkeit getrieben hat. Selbst für die Benutzung der Getreidemühle ihres Gebieters und sogar für Brennholz aus dem Wald müssen viele bezahlen. Daher sind sie gezwungen, auf Wochenmärkten – freitags oder samstags – einen Teil ihrer spärlichen Ernte und ihrer Handwerksprodukte feilzubieten.
Manche Bauernfamilien bewirtschaften ihre Hufe, ein Gebiet von durchschnittlich 12 bis 16 Hektar, allein. Andere müssen sich das Ackerland mit weiteren Bauern und deren Familien teilen. Einige der Weiler im Reich bestehen aus nur drei oder vier Höfen. Es gibt aber auch dorfähnliche Siedlungen mit mehr als 40 Wohnhäusern und zahlreichen Hufen, die Großgrundbesitzer von sogenannten Meiern – Vorstehern, abgeleitet vom lateinischen Wort maior – verwalten lassen.
Auf den Höfen herrscht Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern: Wald und Acker sind die Domäne der Männer. Sie pflügen, heben Gruben aus, mähen Gras, ernten Getreide, fällen Bäume. Die Frauen putzen, melken, waschen, buttern, versorgen das Vieh. Sie scheren die Schafe, spinnen, weben, nähen und schneidern Kleider. Zumindest von harter Feldarbeit sollten die Bäuerinnen verschont bleiben, predigt der Klerus. Schließlich seien sie körperlich schwächer als ihre Gatten, und Gott verabscheue alles, was »gegen die Natur« sei. Die Realität sieht jedoch häufig anders aus: Der Bauer ackert auf dem Herrenhof oder zieht für den König in den Krieg – und seine Frau spannt auf der Hufe den Ochsenkarren an und presst den Pflug ins Erdreich.
Als Karl der Große Anfang des 9 . Jahrhunderts erkennt, wie groß die Not vieler seiner Untertanen ist, lockert er die Pflicht zum Kriegsdienst. Konnten früher alle freien Männer des Reichs eingezogen werden, so trifft es jetzt nur mehr diejenigen mit mindestens vier Hufen Land. Bauern, die nur eine Hufe bewirtschafteten, dürfen sich zu viert zusammentun und müssen nur mehr einen Kämpfer stellen.
Doch die ständigen Kriege bedeuten weiterhin eine gewaltige Last für das Volk. Nicht nur, dass die Arbeitskraft der Soldaten auf den Äckern fehlt: Die Ausrüstung eines einzigen Reitersoldaten mit Pferd, Schwert, Lanze, Schild, Lederhelm und Beinschienen kostet 40 Schillinge – so viel wie 20 Kühe. Und mancher Soldat kehrt nie wieder vom Schlachtfeld zurück. Darüber hinaus sind die Bauernfamilien verpflichtet, die Truppen und ihre Pferde auf deren Weg ins Kriegsgebiet mit Getreide zu versorgen. Viele der Soldaten schlachten skrupellos Rinder, Schafe oder Schweine auf den Höfen, als wären sie ihr Eigentum.
Die Bauern müssen das gesamte Frankenreich ernähren. Dabei erreichen ihre Schweine selbst in guten Jahren gerade mal ein Schlachtgewicht von 35 Kilogramm – erst die hochgezüchteten Rassen der Neuzeit werden es auf das Dreifache bringen. In vielen Gebieten des Reichs betreiben die Bauern zudem noch die überkommene Zweifelderwirtschaft: Auf der einen Hälfte des Bodens pflanzt man Getreide an, die andere liegt brach. Im Jahr darauf wird gewechselt.
In Nordfrankreich und einigen weiteren Regionen entdecken die Bauern zur Herrschaftszeit Karls des Großen jedoch die Vorteile einer moderneren Anbaumethode, bei der die Ackerflur
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