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Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Titel: Karlas Umweg: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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ein bisschen was davon, weil Fräulein Kniffke bei uns in Bad Orks mich manchmal ihre Gesangstunden begleiten lässt. Marie warf mir einen schwarzen Fummel zu, dessen französische Inschrift davon zeugte, dass es sich nicht um ein runtergesetztes Kleid von Karstadt handeln konnte. Ich zog den Bauch ein und schämte mich etwas, als ich mich in das sündhaft teure Leberwurstkleid zwängte.
    »Schuhe habe ich auch für Sie«, sagte Marie und trällerte dann wieder nervös vor sich hin. »Nur keine Strümpfe, tralla, trallera!«
    Ich sah sie eingeschüchtert an und versicherte, dass ich auch ohne Strümpfe umblättern könnte, natürlich nur, wenn ihr das nichts ausmache, ausnahmsweise.
    »Kamm, Kamm mie mie mie ch«, sang Marie und reichte mir ihr krokodilledernes Kosmetik-Köfferchen.
    »Und vielleicht etwas Rri Rra Rrouge!«
    »Ganz wie Ihre Überkandidelt wünschen«, murmelte ich und malte mir noch etwas Farbe auf die Wangen. Wenn man bedenkt, dass solcherlei Hoffart, Reichtum, Augenlust noch nie in meinem Leben stattgefunden hat – außer damals beim Kinderkarneval im Kurhaus, als ich als Gretel vom Kasperl ging. Jetzt fühlte ich mich so ähnlich.
    Edwin pochte ungeduldig an die Tür, aber das war unnötig, denn wir waren sowieso fertig zum Auftritt. Marie sagte noch im Gehen über die nackte Schulter, dass die meisten Lieder sehr einfach zu blättern seien, denn es stünde ja auch der Text drunter, und selbst wenn ich keine Noten lesen könnte, würde ich ja sicher die Worte lesen können. Ich überhörte das, weil es sowieso nichts brachte, in dieser Situation jetzt noch auf diesen Unsinn einzugehen. Schließlich hatte Edwin ihr eben noch erklärt, dass ich ein Ausbund an Hochbegabung sei, jedenfalls was das Notenlesen von Klavierliteratur anbetreffe.
    Ich stakste hinter Echtwein her auf die zugige Bühne, auf der die Staubflocken, die es sich zwischenzeitlich gemütlich gemacht hatten, in der Zugluft und dem plötzlichen Neonlicht umeinander wirbelten, als gelte es, noch einen guten Platz zu ergattern. Im Publikum ließ man sich zu einem temperamentlosen Beifall herab. Ich setzte mich auf den Nebenstuhl und fühlte die Nähte des Kleides über meinen nackten Beinen spannen. Lieber Gott, mach, dass es nicht platzt, betete ich, als die ersten Klänge des Schubert-Lieds durch den Saal drangen. Marie war unbeschreiblich gut. Ich verstehe ja ein bisschen was vom Singen, weil Fräulein Kniffke mich ab und zu mal ihre Sänger begleiten lässt, und aus Spaß hab ich auch schon mal eine Tonleiter gesungen, nur so, als Fräulein Kniffke gerade keine Schülerin unterrichtete und sie keine Lust auf Regina und ihre Gernot-Geschichten hatte, und so konnte ich feststellen, dass Marie nicht so ein schriller Sopran mit viel schneidendem Tremolo im Timbre ist wie die Soubretten im Kurhaus von Bad Orks, sondern über eine aufregend schöne und warme Mezzosopran-Stimme verfügt. Das erlaube ich mir zu sagen, weil Papa manchmal bei uns in Bad Orks die Konzertkritiken schreibt, wenn in der Kurhalle mal ein Gastspiel war.
    Der Echtwein ließ seine langen, gepflegten Finger, mit denen er vermutlich niemals im Garten gräbt oder Holz hackt, über die Tasten perlen, und ich starrte gebannt auf die Noten und blätterte mit schweißfeuchten Händen die Seiten um. Wir waren ein großartiges Team. Der Auftritt gipfelte in den drei Carmen-Szenen, die Marie als Zugabe absolut hinreißend inszenierte, und endete auf dem hohen H. Stehender Beifall und schrille Pfiffe kamen zusammen mit den zu Schwalben gefalteten Programmheften auf die Bühne geflogen. Marie bekam ungelogen zwölf Blumengebinde überreicht und musste sich dauernd bücken, um sich von Begeisterung heuchelnden Kolleginnen auf die hektisch geröteten Wangen küssen zu lassen. Eine ältere Dame war auch unter den Gratulanten. Sie hatte trotz der Hitze im Saal die ganze Zeit ihren Pelzmantel anbehalten und zog Marie nun ziemlich tief zu sich herunter, um ihr einen violetten Lippenstiftabdruck auf die Stirn zu drücken. Wie eindrucksvoll. Das war sicher ihre Lehrerin, dachte ich hingerissen. Nach vier weiteren Zugaben erst durften wir durch die Staubflocken von der Bühne knicken. Was für ein Einstieg ins Bühnenleben! Das muss ich unbedingt Mama und Papa erzählen. Nun kennt mich die ganze Hochschule. Ich bin berühmt.
    Bleibt noch von der sensationellen Nachfeier zu berichten, auf der ich selbstverständlich nicht fehlen durfte. In Herrn Echtweins Kastenwagen – er transportiert

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