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Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Titel: Karlas Umweg: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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die Wand und halt dich fest, dann hast du eine bessere Stütze.« Ich räusperte mich.
    Sylvia holte tief Luft und fing an zu kreischen. »Grausamer, Elender, nimm meinen …« Aber da musste sie Luft holen und aus dem Dolch wurde nur noch ein tonloser zittriger Molch, der sich aus ihrem Munde schlängelte, um noch während des freien Falls zu sterben.
    »Hallo, Entschuldigung, bitte!«, rief ich dazwischen.
    »Dolch«, schrie Sylvia und rannte mit ihrem Pappknüppel auf Zurlinde los.
    »Nein, alles Mist«, sagte Zurlinde. »Du singst ohne Unterleib.«
    »Herr Professor!«, rief ich halblaut.
    »Ich schaff’s nicht bis zur Premiere«, sagte Sylvia und ließ den Kopf hängen.
    Zurlinde griff ihr unter das Kinn, sah ihr tief in die Augen und sagte: »Hol dir die Stütze aus dem Becken, dann kannst du bei ›Dolch‹ schon zustoßen. Noch mal jetzt. Reiß dich zusammen.« Sylvia ging rückwärts zu ihrem Ausgangspunkt zurück, holte tief Luft und wiederholte die Szene. Sie rannte wie eine Furie auf Zurlinde los, drosch mit dem Pappknüppel auf ihn ein und schaffte es ohne zu atmen bis »Dolch«. Dann ließ sie sich auf den Boden fallen.
    »Na bitte, das war es doch«, sagte Zurlinde und beugte sich zu ihr runter. Ich hielt diesen Zeitpunkt für angemessen, hinter dem Schiff aus Pappe hervorzukommen.
    Sylvia kreischte noch viel lauter als zuvor, so sehr hatte sie sich erschrocken, und auch Zurlinde entfuhr ein Schrei.
    »Entschuldigen Sie …«, begann ich. Ich wusste schon gar nicht mehr, zum wievielten Male ich mich heute Morgen schon entschuldigt hatte, für eine Sache, die ich doch gar nicht verbrochen hatte.
    »Was zum Teufel spionieren Sie hier herum? Hat Marie Sie geschickt?«
    »Ja, allerdings …«
    »Das ist ja ein starkes Stück! Gestern schickt sie mir Sie im Taxi nach und heute beobachten Sie heimlich meinen szenischen Unterricht …«
    »Ich wollte eine Handtasche abholen«, sagte ich. Zurlinde sagte zu Sylvia, sie solle sich gut entspannen und tief durchatmen, gleich würden sie die Szene noch einmal wiederholen. Dann bugsierte er mich zu seiner Garderobe, wo er die Handtasche aus seinem verschlossenen Spind hervorholte.
    »Wie haben Sie mich gefunden?«
    »Ihre Frau sagte …«
    »Wie, Sie waren bei meiner Frau?« Zurlinde wurde grau wie der Spind und musste sich setzen. »Was hat sie gesagt?« Er warf eine Brausetablette in ein Glas Wasser.
    »Dass Sie heute Morgen hier sind. Stimmt doch«, verteidigte ich mich. Die Brausetablette vollführte einen hektischen Tanz. Fast wie den, den Marie immer mit ihrer Triangel auf dem Tisch vollführt, wenn sie fröhlich »tralalalala« singt, als könne sie kein Wässerchen trüben.
    »Was haben Sie zu meiner Frau gesagt, wer Sie sind?«
    Zurlinde setzte den Brausebecher an den Mund und schüttete sich das Katerfrühstück rein.
    »Sie hat mich nicht gefragt«, sagte ich.
    »Und weshalb Sie Maries Tasche wollen?«
    »Ich habe nichts von Maries Tasche gesagt. Nur allgemein wurde das Wort Tasche erwähnt. Einfach nur: Tasche. Sonst nichts.«
    Zurlindes Gesicht bekam wieder etwas Farbe. »Und meine Frau, wie hat sie reagiert, ich meine, wie sah sie aus?«
    »Weiß«, sagte ich.
    »Wie, weiß? Vor Zorn?«, fragte Zurlinde und krallte sich angstvoll an seinen Brausebecher.
    »Weiß vor Quark«, sagte ich.
    Zurlinde gab mir die Tasche. »Dass Sie mir das nicht noch einmal tun«, sagte er streng. »Meine Frau darf sich überhaupt nicht aufregen! Und nun machen Sie, dass Sie hier rauskommen! Wir sehen uns später im Wettbewerb!« Damit verließ er die Garderobe. Ich stand da und starrte die Tasche an. Wer war denn jetzt schuld an der ganzen peinlichen Angelegenheit? Ich oder Zurlinde oder Marie? Hängenden Kopfes verließ ich mit der Tasche die Oper. Der Pförtner las Zeitung. Trotzdem sagte er mitleidig: »Wenn das Vorsingen nicht geklappt hat, versuchst du es einfach woanders.«
    Um zehn vor elf war ich wieder bei Marie. Sie ging gerade aus dem Haus, mit einer anderen Tasche.
    »Nimmst du sie gerade mit hinein und legst sie auf mein Bett? Ich muss dann! Bis später!« Und stieg in ihren Jaguar.
    Marie hat mich um einen Gefallen gebeten, den ich ihr besonders gern erfüllte: Ich sollte Willem vom Flughafen abholen. Sie selbst hatte keine Zeit dazu, weil sie in wichtigen Besprechungen mit Zurlinde war. Voller Herzklopfen fuhr ich also mit dem tollen Firmenwagen zum Flughafen. Willem abholen. Heim zu Frau und Kind. Wie schön.
    Er war braun gebrannt, als käme er aus dem

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