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Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Titel: Karlas Umweg: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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ich gefragt.
    »Ich bleibe bei Maximilian«, hat Willem gesagt. Das dicke Baby riss mir die Bordkarte aus der Hand und ließ sie auf die Erde fallen. »Da!«, sagte es zufrieden.
    Als ich sie aufheben wollte, stieß ich mit Willem zusammen, der sich trotz des dicken Babys auf seinem Arm gebückt hatte. Wir guckten uns an und lächelten.
    Hoffentlich kann ich noch üben! Echtwein hat es mir versprochen.
    Abends im Hotel einer hessischen Kleinstadt. Alles erinnert mich stark an Bad Orks. Marie und Echtwein haben geprobt, auf der verstaubten Bühne einer Mehrzweckhalle! Ich war Mädchen für alles, durfte Kaffee besorgen und beim Hausmeister um besseres Licht bitten und die Nebengeräusche in Form einer ununterbrochen laufenden Klospülung abstellen lassen. Dazu musste ein Klempner aus dem Nachbarort bestellt werden. Ich wartete derweil in der Hausmeisterwohnung. Dort im spießigen Wohnzimmer entdeckte ich ein Klavier. »Darf ich mal etwas auf Ihrem Klavier spielen?«, fragte ich, nachdem der Hausmeister den Hörer aufgelegt hatte. »Freilisch, Frolleinsche«, sagte der Hausherr erfreut und hob stolz den Deckel ab, als wolle er mir sein Neugeborenes im Kinderwagen präsentieren.
    Das Klavier hatte ziemlich viel Karies – es fehlten ihm verschiedene Tasten und die verbliebenen hatten eine ähnlich gelbe Farbe wie die Gebisse der Mähren im Übehaus in Berlin. Ich spielte vorsichtig einen C-Dur-Dreiklang. Das Klavier gab einen gequälten Laut von sich, der lange nachschwang.
    »Feines alldes Instrument, Frolleinsche. Von meinä Muddä selisch. Fast net gespielt, is fast völlisch neu!« Ich starrte den Mann irritiert an. Wenn das ein Scherz sein sollte, erwartete er sicher beifälliges Gelächter. Aber so, wie er da stand und stolz an einem Hirschhornknopf seiner Joppe drehte, hatte er das ernst gemeint. »Muddä, komm emol nei!«, brüllte er dann in Richtung Küche und ich fürchtete, seine totgeglaubte Mutter wäre unter dem jaulenden C-Dur-Dreiklang wieder auferstanden. Aber es war seine Frau, die er gerufen hatte. Sie hatte einen Wirsingkopf in der einen Hand und in der anderen ein Küchenmesser.
    »Hör emol, Muddä, das Frolleinsche kann wunnäba Klavier spiele!«, sagte der Vaddä.
    Die Muddä wischte sich mit dem Kittelärmel die Nase und legte den Wirsing auf den Wohnzimmädisch. »Aber ich habe doch noch gar nichts gespielt!«, beteuerte ich.
    »Doch, Sie wädde es uns scho zeige, dass Se spiele könne! Se gehöre doch zu denne drei Künstlä da drauße in de Mehrzweckhall!«
    Um nicht zuzugeben, dass ich nur die Blätterfrau bin, setzte ich mich auf den ächzenden Hoggä und spielte meinen Beethoven.
    Ich muss dazu bemerken, dass die ganze Zeit dabei der Fernseher lief, und das war bisher nicht so störend gewesen, weil Nachrichten gesprochen wurden. Nun war aber ein Zeichentrickfilm mit viel Gekreisch und Gequietsche auf der Mattscheibe.
    Ich versuchte, mich nicht irritieren zu lassen, und spielte den ganzen ersten Satz. Kurz vor der Fermate wurde allerdings ein großes fettes Tier von einem Felsen geschubst und knallte dermaßen geräuschvoll in einen Sandhaufen, dass der Fernseher nun entschieden lauter war als der Muddä selig verstimmtes Klavier. Ich hörte also mitten im Stück auf zu spielen.
    »Ganz wunnäbaa, Frolleinsche, ganz wunnäbaa!«, schwärmte der Hausmeister und die Muddä klatschte Beifall. Derweil wurde das fette Tier durch einen Fleischwolf gedreht und kam in Gulaschschnipseln unten wieder heraus. »Wo habbese das nur gelernt?«, wollte der Hirschhornknopfdreher wissen.
    »Im Klavierunterricht!«, brüllte ich gegen den Lärm des Fleischwolfes an. »In Bad Orks!«
    »Wänä, ei mach dochemol de Fernsehä leisä«, sagte tadelnd die Muddä. »Man versteht ja sei eigenes Wodd net!«
    Das Gulasch verschwand vom Bildschirm und ich erhob mich.
    »Ei spiele Se doch noch was! Kenne Se das ›für Else‹? Des hat mei Muddä immä gespielt.«
    »Für Elise, Wännä!«, berichtigte seine Frau.
    Ich setzte mich wieder hin und spielte für Elise. Das ist für einen Pianisten so leicht wie das Naseputzen für einen gewöhnlichen Stäbblichen, aber das wollte ich dem Hausmeister nicht auf die Nase binden, und seiner Frau auch nicht.
    »Ei, das könne Se!!«, freute sich das Hausmeisterehepaar kindlich.
    Es klingelte an der Haustür. Leider war es nicht der Klempner, der lang ersehnte, sondern Edwin.
    Scheiße, er erwischte mich dabei, wie ich auf dem verstimmten Klavier des Hausmeisterehepaares meine

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