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Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Titel: Karlas Umweg: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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endlich die Gattin am Fenster. Ich erschrak und zuckte zusammen, denn sie hatte das ganze Gesicht voll Quark. Deshalb hatte sie also nicht am Fenster erscheinen wollen. Verständlich, von ihrer Warte aus gesehen.
    »Also?«, sagte das Quarkgesicht.
    »Entschuldigen Sie die Störung«, hauchte ich.
    »Ja, ja«, sagte die Quarkmaske. »Das haben Sie jetzt dreimal gesagt.«
    »Kann ich bitte Ihren Gatten …«
    »Was wollen Sie denn von ihm?«, herrschte mich die Gattin an. Ich konnte unmöglich sagen: »Eine grüne Krokodilhandtasche mit Kondomen drin.« Deshalb schwieg ich.
    Die Kaffeemaschine hatte aufgehört zu gluckern, fast so, als wollte sie die Pointe unseres Gesprächs nicht verpassen. Schließlich sagte die Quarkmaske böse: »Mein Mann ist in der Oper, bei einer Bühnenprobe. Ist vor zehn Minuten losgefahren.«
    »Hatte er eine Handtasche dabei?«, fragte ich voreilig und biss mir auf die Lippen.
    »Er hat immer seine Handtasche dabei, warum?«, fragte die Gattin. Ich wagte nicht, nachzufragen, ob er außer seiner eigenen auch noch eine grüne Krokodillederhandtasche dabeigehabt hätte, bedankte mich für die freundliche Auskunft und ging über den Heckenweg zurück. Hinter mir wurde das Küchenfenster zugeknallt.
    Ich latschte ziemlich lange, bis ich ein neues Taxi fand.
    Am Hintereingang der Oper saß ein Pförtner und las Zeitung. »Guten Morgen«, sagte ich.
    »Morgen«, sagte der Pförtner in seine Zeitung hinein. Hinter mir gingen mehrere Schauspieler, Sänger und Tänzer ein und aus und alle sagten »Morgen« zu dem Pförtner, und er sagte jedes Mal »Morgen« zu seiner Zeitung.
    »Ist Herr Professor Zurlinde im Haus?«, fragte ich die Rückseite der Zeitung.
    »Weiß ich doch nicht«, sagte der Pförtner, ohne freundlicherweise die trennende Papierwand zwischen uns zu senken.
    Ich entschuldigte mich, dass ich ihn belästigt hatte, und ging einfach hinein. In einem langen halbdunklen Gang liefen geschäftig Leute herum, die alle irgendwie in Eile waren. Ich traute mich nicht, sie durch meine dämlichen Fragen von der Arbeit abzuhalten. Nachdem ich eine Viertelstunde durch halbdunkle Gänge gegangen war und Leute pfeifend und singend an mir vorbeigekommen waren, gelangte ich wieder zum Pförtner. Welch ein Glück, er las nicht mehr Zeitung, er frühstückte. »Ich habe eben schon mal gefragt, ob Herr Professor Zurlinde im Haus ist«, sagte ich entschlossen.
    »Wer sagten Sie gleich, ist im Haus?«
    »Professor Zurlinde.«
    »Den gibt es hier nicht.«
    »Auch nicht heute?«
    »Nicht heute, nicht gestern und auch nicht morgen.«
    »Man sagte mir, dass er heute hier sei.«
    »Wer sagt das?«
    »Seine Frau.«
    »Na, die muss es ja wissen.« Er biss in ein hart gekochtes Ei und schüttete sich aus einer Thermoskanne Milchkaffee ein. Dann äugte er wieder auf die Zeitung.
    »Wo könnte er denn wohl sein?«, ging ich ihm penetrant auf die Nerven.
    »Mädchen, das weiß ich doch nicht«, sagte der arme überarbeitete Pförtner in einem Ton, als hätte ich gefragt, warum der Mond rund ist. Ich wartete geduldig, bis er das Ei zu Ende gegessen hatte, dann wagte ich es erneut, ihm einen Vorschlag zu unterbreiten.
    »Man könnte doch mal auf den Probenplan schauen«, hob ich an, »vielleicht kann man daraus etwas entnehmen.« Der Pförtner guckte mich über seine Brillenränder hinweg an, als hätte ich ihn aufgefordert, alle Buchstaben aus seiner Zeitung einzeln auszuschneiden. Dann langte er mit gnädiger Geste hinter sich, pflückte den Probenplan von der Wand und knallte ihn mir vor die Jacke. Ich sah sofort, dass Zurlinde auf der Probebühne drei war, von acht bis zehn. Jetzt war es zehn vor zehn.
    »Wie komme ich zur Probebühne drei?«
    »Gar nicht. Ist kein öffentlicher Zugang.« Irgendwie beschlich mich das Gefühl, dass ich dem Pförtner nicht sympathisch war. Der nächste pfeifende, geschäftige Mensch, der an uns vorbeiging, musste aber dran glauben.
    »Erwin, nimm das Mädchen mit zur Drei, aber pass auf, dass sie nichts anfasst.«
    Erwin nahm mich mit.
    Um fünf vor zehn war ich am Ziel: ich stand dem lebendigen und leibhaftigen Professor Heyko Zurlinde zum Greifen nahe gegenüber: nur ein riesiges Schiff aus Pappmache trennte uns noch voneinander. Zurlinde stand mit dem Rücken zu dem Schiff und sagte gerade: »Du musst die Phrase viel länger durchhalten, Sylvia. Deine Luft muss reichen bis ›Grausamer, Elender, nimm meinen Dolch‹.«
    »Das schaff ich nie«, sagte Sylvia.
    »Stell dich hier an

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