Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Karma-Attacke (German Edition)

Karma-Attacke (German Edition)

Titel: Karma-Attacke (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
Vom Netzwerk:
und nicht um Formulare und bürokratischen Schnickschnack.»
    Sabrina Schumann stöhnte. Damit waren die Fronten geklärt, der Krieg konnte beginnen. Sie grollte, aber zugleich wusste sie, dass sie alles tun würde, um Peter Ullrich nicht zu verlieren.

12
    Auf großen, belebten Plätzen hatte Schwester Inge sich noch nie wohl gefühlt. Wenn es eben ging, mied sie Menschenmengen; Schützenfeste und Rummelplätze waren ihr ein Graus. Außerdem hatte sie gern festen Boden unter den Füßen. Als Kind war ihr schon beim Zugfahren schlecht geworden.
    Vivien aber wollte unbedingt aufs Riesenrad. Sie glühte geradezu vor Gier nach Karussells, optischen Eindrücken, Schwindelgefühlen und lauter Musik.
    Schwester Inge argumentierte: «Dir wird übel werden. Das ist eine Reizüberflutung. Du hast die letzten Jahre ausschließlich in den sterilen Klinikräumen verbracht.»
    Vivien wollte das nicht hören. Sie ließ keine Argumente gelten, denn sie fürchtete keine Konsequenzen. «Ja! Ja! Ja! Das weiß ich alles! Sonntags der Kuchen um fünfzehn Uhr war ein aufregendes Ereignis. Aber jetzt will ich da rauf!»
    «Es wird dir schaden. Wenn das Ding erst einmal fährt, kannst du nicht aussteigen. Dann musst du bis zum Schluss drinbleiben, egal, wie es dir dabei geht.»
    Vivien riss sich los, aber sie rannte nicht weg. Sie brüllte Schwester Inge an: «Wissen Sie, was ich glaube?!»
    Schwester Inge schüttelte den Kopf.
    «Sie haben nur selbst Schiss! Aber ich mach das jetzt. Sie können ja so lange hier unten warten.»
    Mit ihrer heftigen Gegenreaktion verriet Schwester Inge, dass Vivien Recht hatte, und das ärgerte sie. Es schmeckte ihr nicht, dass Vivien ihr Wahrheiten über sich selbst sagte, die sie lieber nicht gehört hätte. Sie kannte dieses Phänomen aus ihrer langen Arbeit als Krankenschwester in der Psychiatrie. Kinder, die mehr Zeit mit Therapeuten und Ärzten verbrachten als mit Gleichaltrigen, begannen, sich als Therapeuten und Ärzte aufzuführen. Sie spielten das, was sie jeden Tag sahen, mit vertauschten Rollen weiter.
    Mit schmalen Lippen zischte sie: «Ich bin die Schwester, du die Patientin. Natürlich gehe ich mit da rauf.»
    Im selben Moment griff sie wieder nach Viviens Handgelenk.
    Sie hatte ein flaues Gefühl im Magen, als sie an der bunten Kasse zwei Karten löste und mit der euphorischen Vivien in die Gondel stieg. Ihnen gegenüber saß ein knutschendes Pärchen. Die beiden waren kaum älter als Vivien.
    Mit einem Ruck begann die Fahrt. Schwester Inge schloss die Augen und verfluchte Vivien in Gedanken. Mit ihrer eigenen Tochter war sie noch nie Karussell gefahren. Julia wäre es nie gelungen, sie auf so ein Ding zu kriegen.
    «Gucken Sie doch mal!», jubilierte Vivien. «Ach, Sie gucken ja gar nicht! Sie haben eben doch Schiss. Dahinten, die Achterbahn, da will ich auch noch drauf! Und die Spinne!»
    «O nein. Hiernach ist Schluss!»
    «Wir haben eine Stunde! Und sonst verrate ich euch gar nichts!»
    In einer Gondel über ihnen brüllten ein paar Spätpubertierende: «Jetzt geht’s lohos! Jetzt geht’s lohos!» Dazu klatschten sie rhythmisch in die Hände und brachten Schwester Inge dazu, die Augen aufzureißen und ängstlich danach Ausschau zu halten, was jetzt losgehen sollte.
    Da sah sie in einer Gondel auf der anderen Seite ihre Tochter Julia. Tom hatte den Arm um sie gelegt. Sie schaute ihn verliebt an. Dafür brauchte sie also das Geld! Sie schwänzte die Schule und amüsierte sich mit diesem Tom Götte. Ausgerechnet mit dem!
    Mit der Wut kam augenblicklich das schlechte Gewissen. Sie kümmerte sich einfach zu wenig um Julia. Etwas in ihr bezichtigte sie, eine schlechte Mutter zu sein. Gebannt starrte sie zu Julia hinüber und vergaß sogar, dass ihr schwindlig war. Sie fühlte sich um ihr Leben betrogen. Von Julia, von ihrem Exmann, von den Patienten. Von der ganzen Welt.
    Ihre Gondel erreichte den Gipfelpunkt. Vivien fand den Blick über die Stadt gigantisch. Sie reckte die Arme zum Himmel empor und quietschte vor Vergnügen. Dabei schaute sie nicht zur Klinik, sondern in die andere Richtung, zur Brücke am Fluss. Dann spuckte sie nach unten. Sie sah ihrer Spucke nach, verlor sie aber aus den Augen, bevor sie den Boden berührte.
    Ein Blondschopf schaute hoch. Vivien bildete sich ein, ihn getroffen zu haben. Sie sah das knutschende Pärchen, und der Wind föhnte ihre Kupferhaare zu einer Sturmfrisur. Noch einmal hob sie die Arme, um ihn auch unter den Achseln zu spüren. Plötzlich erschien

Weitere Kostenlose Bücher