Karma-Attacke (German Edition)
Weile warten und stellte sich vor, wie das Haus von innen aussehen mochte. Das Haus eines Mannes, der den ganzen Tag mit Geistesgestörten umging und daran glaubte, dass wir nicht einfach sterben, sondern wiedergeboren werden. Dass dieses Leben nicht unser erstes ist, sondern dass wir schon viele Leben gelebt haben.
Ackers klingelte noch einmal. Professor Ullrich stand unter der Dusche. Als er endlich öffnete, war er barfuß und dampfte. Er hatte sich ein großes Saunatuch um die Hüften gewickelt. Seine Brust war leicht behaart, der Oberkörper muskulös. Er sah drahtig aus, mit Waden, wie sie nur jemand hatte, der sie auf langen Wanderungen oder Radfahrten trainierte.
Ohne Umschweife bat Ullrich ihn in die Wohnung. Für Ackers sah es aus, als sei der Professor noch gar nicht richtig eingezogen. Im Flur stand eine Kiste, randvoll mit Büchern, daneben ein Stapel Zeitschriften. Darüber lagen ein schwarzes Jackett und ein weißes Hemd mit schmutzigem Kragen. Davor standen ein paar schwarze Lackschuhe.
Das nächste Zimmer hatte wahrscheinlich früher mal einer Familie als Wohnzimmer gedient. Die ehemaligen Tapeten waren weiß überstrichen, an einigen Ecken schien das alte Muster durch. Wer auch immer dies Zimmer renoviert hatte, er hatte sich nicht viel Mühe damit gegeben. In der Mitte des Raumes lag ein eiförmiger Stein. Eine Stereoanlage stand in der Ecke, davor lagen ein halbes Dutzend CDs verstreut. Bei den Stereoboxen stand ein Futonbett auf einem Holzrahmen.
Der Professor setzte sich im Schneidersitz auf eine Kante des Bettes und rubbelte seine Haare trocken. Seine Knie berührten den Parkettboden. Es sah unbequem aus, doch er wirkte völlig entspannt.
Ackers ärgerte sich. Wo sollte er sich hinsetzen? Auf das Steinei?
Er tat es. Hoffentlich hatte er damit kein Sakrileg begangen. Vielleicht hatte dieses Ei eine tiefere Bedeutung. Vielleicht veranstaltete Ullrich in diesem Raum seine Rituale. Ja. Genau so sah es hier aus, wie ein Raum, in dem jemand Rituale abhielt. Nicht gerade schwarze Messen, aber doch irgendein abgefahrenes Zeug, von dem man nur erfuhr, wenn wieder einmal irgendwelche Sektenmitglieder reihenweise Selbstmord begangen hatten.
Ackers platzte heraus: «Ich habe Ihr Gespräch mitgehört. Ich war in Ihrem Büro, als Sie mit Vivien Schneider über Thara geredet haben.»
Ullrich sprang auf. «Dazu hatten Sie kein Recht!», brüllte er. «Was bilden Sie sich eigentlich ein? Leben wir eigentlich in einem Polizeistaat? Und was ist mit meinen Rechten? Wollen Sie demnächst auch Gynäkologen bei der Arbeit beobachten? Eine kleine Videokamera direkt über dem Stuhl, damit Ihre Kollegen den unterbezahlten Job in Zukunft etwas motivierter angehen?»
Ackers ließ sich nicht einschüchtern. «Mein Vorgehen war vielleicht nicht ganz korrekt, aber ich fürchte, Sie verhalten sich auch nicht gerade normal, oder? Was sagen denn Ihre Kollegen dazu? Aber darauf kommt es jetzt gar nicht an. Sie sind selbst nicht davon überzeugt, dass Ihre Patientin in der Geschlossenen wirklich auf Nummer Sicher ist. Sie konnte raus, verdammt noch mal! Das ist der entscheidende Punkt! Ralf Rottmann ist nicht irgendwo umgebracht worden, sondern vor Ihrer Kliniktür. Kann es nicht sein, dass ihm Ihre Behandlungsmethoden etwas merkwürdig vorkamen? Dass er zurückgekommen ist zur Klinik, nachts, um mit der Kleinen noch einmal zu sprechen?»
«Er kannte sie doch gar nicht!», brüllte Professor Ullrich.
Ackers war erfahren genug, um zu wissen, dass Leute, wenn sie herumschrien und ausflippten, genau an ihrer wunden Stelle erwischt worden waren. Er schwieg also einfach und fixierte Professor Ullrich.
«Sie ist ein ängstliches, verstörtes Kind. Das müssen doch selbst Sie in Ihren Kriminalistenschädel bekommen. Unsere normale Welt hat sich für dieses Kind mit einem Schlag aufgelöst, als ihre Mutter ermordet wurde. Etwas Furchtbares ist in ihre Welt eingedrungen. Sie hat es als Angriff auf ihre Persönlichkeit erlebt. Unsere Aufgabe sollte es sein, sie zu schützen, nicht, sie zu attackieren und zu verdächtigen. Versuchen Sie das doch zu begreifen!»
Professor Ullrich schlug mit der rechten Hand auf seinen nackten linken Oberarm, dann auf seine Brust. «Wir sind nicht dieser Körper, mein lieber Herr Kommissar. Wir haben ihn nur. Wir bewohnen ihn, wie ich dieses Haus bewohne. Wenn es eines Tages abgerissen wird, werde ich einfach in ein anderes ziehen, verstehen Sie?»
Ackers zuckte mit den Schultern. «Ich sehe
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