Karma Girl
Ohne Gwyn – das war wie ohne Sonne.
»Bitte« , sagte sie. Und ich wusste, dass sie es ernst meinte.
Plötzlich wusste ich auch, was jetzt, in dieser Situation, das Passwort war. Ob es allerdings dafür sorgte, dass sich eine Tür ganz weit öffnen würde, war an einem Tag wie diesem eher zweifelhaft.
»Entschuldige, Gwyn«, sagte ich. »Es tut mir wirklich ganz, ganz doll Leid.«
Sie sah mich von der Tür aus an. Ohne gestylte Klamotten und jegliches Make-up sah sie irgendwie weicher und schöner aus als je zuvor. Irgendwie verletzlich. Wahrscheinlich, überlegte ich, hatte sie sich letzten Endes nur nach Liebe gesehnt, so wie jeder andere auch. Und ich hatte sie ihr nicht gegeben, jedenfalls nicht so, wie sie sie gebraucht hätte. Ich musste auf einmal an das ganze Silberglitzer denken, an das Bindi, die Sonnenbrille, die sie immer parat hatte. Und es dämmerte mir: Vielleicht hatte sie immer Angst davor gehabt, gewöhnlich zu wirken, wenn sie sich einfach so, ganz ungestylt, zeigen würde. Genau wie ich. Angst davor, nicht außergewöhnlich genug zu sein. Obwohl sie's ja war.
Ihr Gesicht war also ganz ungeschminkt, und ungeschminkt waren jetzt auch ihre Worte, die sie an mich richtete, und ich spürte, dass sie direkt von ihrem verwundeten Herzen kamen.
»Es tut mir auch Leid«, sagte sie.
Von außen betrachtet, klang es wie der Beginn einer Versöhnung. Doch tief in mir drin fühlte es sich an, als ginge etwas unschätzbar Wertvolles zu Ende.
36. KAPITEL
Die Desorientierung von Dimple Rohitbhai Lala der Ersten
Am Nachmittag vor der Party hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass ich richtig in meine Klamotten passte. Nicht weil ich abgenommen hätte oder so. Sondern schlicht und einfach deshalb, weil ich endlich einmal meine eigenen, selbst ausgewählten Klamotten trug. Ich hatte mir eine neue Jeans gekauft, und es war das Paar, das am ehesten nach Secondhand aussah, ohne dass ich erst ein paar Jahre warten und wie wild daran rumreißen musste. Es handelte sich um eine ausgewaschene Bluejeans mit Schlag und lilafarbenen Rosenstickereien entlang der Hosennaht, und es war das erste Mal seit langem, dass ich eine Hose gefunden hatte, die so perfekt passte. Oben trug ich ein schwarzes, ärmelloses Top und dazu hatte ich mir die Dupatta von meinem Geburtstagsoutfit um die Schultern gelegt. An den Füßen trug ich rot-neon-orangefarbene Turnschuhe, und meine Knöchel waren jeweils mit Kettchen verziert (ob es nun passte oder nicht, um einen Knöchel hatte ich einfach eine Halskette doppelt gelegt).
Doch innen drin war ich ein einziger HotPot, ein Schmelztiegel an Gefühlen. Dennoch passten all diese Gefühle irgendwie zusammen, so unterschiedlich sie auch sein mochten. Die traurigen Gefühle drehten sich allesamt um Gwyn; ich wusste immer noch nicht, ob sie heute Abend kommen würde oder nicht. Ich drückte allerdings die Daumen, dass sie auf ihr Herz hören und sich noch einmal einen Ruck geben würde. Ich hoffte es inständig. Und genauso hoffte ich, dass eine andere Person weiterhin auf ihr Herz hören würde und sich ihre Gefühle mir gegenüber nicht verändert hatten, denn die Gefühle jener Person hatten letztlich den Ausschlag gegeben, weshalb ich mich überhaupt entschieden hatte, zur Party zu gehen. Ich konnte einfach nicht tatenlos zu Hause bleiben und die Sache aussitzen.
Karsh war schon im HotPot und baute sein Equipment auf, wie Radha mir gesagt hatte. Ich hatte ihn also heute noch nicht gesehen, ja, ich hatte ihn schon seit einer ganzen Weile nicht mehr gesehen. Ich war ziemlich aufgeregt, oder besser gesagt, ich war total aufgeregt. Ob er sauer war, weil ich mich so lange nicht gemeldet hatte? Was war, wenn er es sich anders überlegt hatte? Was war, wenn er es sich nie überlegt und Gwyn einfach nur alles falsch verstanden hatte? Oder wenn er nicht mit mir zusammen sein wollte, mochte, konnte?
Und wenn er nicht sauer war? Wenn er es sich nicht anders überlegt hatte? Wenn er es sich genauestens überlegt hatte?
Und er wollte? Mochte? Konnte?
Heute Abend war also der Augenblick der Wahrheit gekommen. Und es konnte in jede Richtung gehen. Es konnte auch in keine Richtung gehen. Aber was auch passierte, es hatte lange genug gedauert, seit unserer ersten Begegnung im Juni.
Kaum vorstellbar, dass dieser Typ mit seiner Bügelfaltenhose, der sich auf den Klavierhocker setzen wollte und der die Fotos im Windfang gut fand, wirklich Karsh gewesen war. Kaum vorstellbar, dass ich das Mädchen auf
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