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Karma Girl

Titel: Karma Girl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanuja Desai Hidier
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der Couch gewesen war. Wenn ich an diesen Nachmittag zurückdachte, mit all den Emotionen und Informationen, die sich mittlerweile angesammelt hatten, dann wirkte auf einmal alles ganz anders. Man kam regelrecht ins Grübeln, ob vielleicht schon damals alle Signale eindeutig gewesen waren und ich sie, weil ich dermaßen mit mir selbst auf Kriegsfuß stand, einfach nicht wahrgenommen hatte. Oder hatte jener Nachmittag nur rückblickend eine solch schicksalhafte Bedeutung bekommen?
    Nicht mehr lange und ich würde Karsh wiedersehen. Ganz vorsichtig, so als handele es sich um ein Lebewesen, legte ich seine Nikes in meine Tasche und machte zur Sicherheit den Reißverschluss zu.
    Als ich aus meinem Zimmer trat, waren meine Mutter und Radha im Wohnzimmer, beide herausgeputzt wie Pfauen. Sie hatten sich auf einer gemeinsamen Einkaufstour regelrechte Maharadscha-Roben zugelegt und meine Mutter trug jetzt ihre laubgrüne, Radha ihre burgunderrote. Während sie sich gegenseitig die Haare machten, kicherten sie wie kleine Mädchen. Der kupferfarbene Ton war mittlerweile vollkommen aus den Haaren meiner Mutter rausgewaschen und sie war wieder ganz stilvoll zu ihrem schwarzen, mit ein paar silbernen Strähnen durchsetzten Haar zurückgekehrt. Mein Vater, wie konnte es anders sein, war in der gleichen Aufmachung, in der er auch bei besagtem Nachmittagstee erschienen war. Geplant war, dass die drei zunächst mit ins HotPot kommen (zu meinem Schreck hatte angeblich Karsh aus irgendeinem Grund darauf bestanden, jedenfalls laut Radha, die in letzter Zeit fast so etwas wie eine Vermittlerin zwischen uns geworden war) und sich dann zu einem gemeinsamen Dinner aufmachen würden. Wie's aussah, würde ich mich wohl bis zu diesem Moment zurückhalten müssen!
    »Keine Sorge, du wirst gar nicht merken, dass wir da sind«, hatte mir meine Mutter versichert.
    Ich konnte mir allerdings beim besten Willen nicht vorstellen, dass das wirklich der Fall sein würde: Schon jetzt im Wohnzimmer probten die beiden Maharadschas eine Art Moonwalk-Macarena-Tanzschrittfolge und konnten sich vor lauter Bhangra-Vorfreude gar nicht mehr einkriegen.
    »Das ist Mist, Yaar!«, rief Radha plötzlich, als müsse sie gegen laute Musik anschreien. »Lass uns lieber noch ein paar indische Schritte ausprobieren. Rohitbhai, was hast du denn noch so auf dem Kasten?«
    Mein Vater trat schüchtern neben die beiden, legte dann aber auf einmal ziemlich unschüchtern, als würde er sich riesig über die eingefahrene Ernte freuen, eine kesse Schrittfolge samt Sprung und Zehenberührung aufs Parkett.
    »Komm, mach mit, Beta«, rief mir meine Mutter zu und verpasste dabei keinen einzigen lautlosen Takt. »Wir proben nur noch die letzten Schritte.«
    Ich reihte mich ein. Ich fühlte mich viel besser als sonst, und dennoch: sich vorzustellen, dass meine Eltern … in der Öffentlichkeit tanzen würden?
    Nachdem wir alle ein paar Minuten synchron herumgehüpft waren (was ich übrigens im Stillen genoss), pfiff Radha plötzlich auf zwei Fingern.
    »Also los, Leute, ich glaub, wir haben's. Ab ins Auto, wir wollen ja nicht zu spät kommen.«
    Aber meine Mutter musste noch eine Sache erledigen.
    »Ihr geht schon mal raus«, befahl sie und schob die beiden Richtung Haustür. »Wir kommen sofort nach.«
    Sobald Radha und mein Vater fertig angezogen in der Auffahrt standen, bugsierte mich meine Mutter vor die Krishna-Statue in der Küche, wo ein Teelicht brannte und neben der in einer Ecke das kleine silberne Töpfchen mit Tikka stand, das meine Großmutter meiner Mutter an dem Tag, an dem sie nach Amerika aufbrach, auf die Stirn gedrückt hatte.
    Sie öffnete das Töpfchen, und ehe ich mich versah, drückte sie mir mit dem Finger einen Puderpunkt zwischen die Augenbrauen. Nachdem sich der lilafarbene Puderstaub vor meinen Augen verflüchtigt hatte, stand sie direkt vor mir und sah mich mit derart liebevollem Blick an, dass mir fast schwindlig wurde.
    »Ich dachte, du würdest es aufbewahren, Mama«, flüsterte ich.
    »Es gibt keinen Grund, Dinge aufzubewahren«, sagte sie. »Das begreife ich nun.«
    »Aber ich wandere doch in kein anderes Land aus oder so.«
    »Du gehst aber trotzdem auf eine Reise«, sagte sie, blies das Teelicht aus und schnappte sich ihre Handtasche.
    ★ ★ ★
    In dem Augenblick, in dem wir über die Brücke nach New York fuhren, spürte ich meinen Puls. Und als wir auf den Parkplatz vom HotPot einbogen und den Wagen im Abendlicht abstellten, überkam mich ein

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