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Karma Girl

Titel: Karma Girl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanuja Desai Hidier
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füllte großzügig die mitgebrachten Becher und reichte sie uns.
    Dann fing der Film an. Aber man konnte sich kaum darauf konzentrieren. Denn zu meiner Rechten stieß Dylan rhythmisch gegen meine Schulter, während er mit Gwyn wild herumknutschte. Und zu meiner Linken tauchte immer wieder der volle Plastikbecher auf, und Julian nickte ständig, offenbar zufrieden damit, wie viel ich schluckte. Ich weiß auch nicht, aber ich wollte es ihm einfach recht machen und trank.
    Ich nahm immer größere Schlucke, damit Julian sich immer mehr in mich verlieben konnte. Und wirklich wahr: Je mehr ich trank, desto schöner fühlte ich mich. Vielleicht lag es daran, dass es dunkel war, und im Dunkeln fühlte ich mich nun mal am besten, so wie in meiner Verdunkelungskammer. Aber gleichzeitig begriff ich auch, dass ich eine fast siebzehnjährige angehende Fotografin war, beeinflusst von Ansel Adams, und dass ich im Kino war, und zwar mit einem echten Studenten, der selbst sogar schon seinen eigenen Film drehte! Na gut, der Film war zwar noch nicht im Kasten, also im Grunde gab es ihn noch gar nicht – aber waren nicht die unsichtbaren Dinge ohnehin die wertvollsten? Gab es da nicht so eine Redensart? Mit Geld kann man nichts Unsichtbares kaufen oder so? Wie sah denn zum Beispiel Liebe aus? Die war ja auch unsichtbar. Es ist der Gedanke, der zählt, wie mein Vater immer sagt. Und der Gedanke an meine Eltern zählte und brachte mich dazu, einfach so vor mich hin zu lächeln.
    Plötzlich durchströmte mich so ein Gefühl von Liebe und ich hatte eine Erleuchtung. Ich wusste auf einmal, was der Schlüssel zu Frieden in der ganzen Welt war: Er bestand in einem roten Plastikbecher mit einem geschwungenen Streifen in der ersten Reihe eines Kinos voll mit betrunkenen Zuschauern und einem Jungen, den jedes Mädchen toll fand und der einen ansah – schluck! Gwyn hatte diese Erleuchtung vielleicht schon etwas eher als ich gehabt, aber ich konnte noch aufholen, die Möglichkeit bestand durchaus, und das war wohl ein Teil des Erwachsenwerdens – dass man zu viele Gefühle hat und nicht weiß, wohin damit, und dass man diese Gefühle einfach über allem und jedem ausschüttet.
    Ich würde auf jeden Fall mit dem Trinken weitermachen. Ich würde nie aufhören zu trinken.
    »Warum ruckelst du denn ständig vor und zurück?«, flüsterte Julian.
    Tat ich das?
    »Ich hab nur gerade 'ne Erleuchtung«, sagte ich.
    »Wirklich?«
    »Du etwa nicht?«
    »Ich glaub, es beginnt gerade«, sagte Julian, und sein Kopf kam näher, und mir war klar, dass wir uns jetzt küssen würden, und ein prickelndes Gefühl überzog meinen Rücken. Eine Sekunde nachdem seine Lippen in Bewegung gerieten, war auch seine Zunge in Bewegung und erkundete die Stellen, an denen mal meine Weisheitszähne saßen.
    Eigentlich war das eine ziemlich schleimige Angelegenheit, und nach einer Weile begann mein Nacken wehzutun. Außerdem konnte ich überhaupt nicht mehr atmen, denn sogar meine Nase wurde ganz schön eingedätscht. Ich löste mich kurz und schnappte nach Luft. Aber irgendwie glaube ich, dass Julian dadurch nur noch mehr davon überzeugt war, dass das, was er da trieb, funktionierte, und er grub nach Archäologenart noch tiefer in meinem Mund herum.
    Als ich auf der Suche nach Sauerstoff erneut an der Oberfläche auftauchte, erblickte ich im Abspann einen Namen, der ein (zugegebenermaßen entfernter) Onkel von mir hätte sein können.
    »Sieh mal – ein indischer Regisseur!«, rief ich.
    »Meinetwegen«, sagte er und drückte gegen meine Schulter. »Mag sein. Oder ein jüdischer. M. Night Shyamalan. Ist doch auch egal.«
    »Na ja, weißt du, ich bin Inderin«, sagte ich.
    »Womöglich Kama-Sutra-Inderin?«
    »Was soll das denn sein?«
    »Ach, komm schon, spiel nicht die Unschuldige«, sagte er und fingerte genau an der Stelle an meinem Oberteil herum, an der die Achsel in die Brust übergeht. »Kama Sutra – die uralte indische Liebeskunst.«
    Er kam noch näher heran.
    »Die Sex – Kunst«, raunte er mir ins Ohr.
    Sex?! Beinahe hätte ich laut losgelacht. Inder hatten keinen Sex. Ich glaubte jedenfalls nach wie vor daran, dass es sich bei mir um die zweite unbefleckte Empfängnis handelte, denn meine Eltern schliefen schließlich nicht miteinander, das war ja wohl vollkommen klar. Sie waren wie Bruder und Schwester, ja, sie nannten sich sogar gegenseitig Mama und Papa, und weder küssten sie sich noch hielten sie Händchen.
    »Inder haben keinen Sex«, flüsterte ich

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