Karma Girl
meine Mutter und zeigte auf die Einkaufstüte in Kavitas Armen.
»Nein, nein, das ist schon okay, Maasi«, sagte sie schnell. »Obwohl der Inhalt ja für unser Geburtstagskind bestimmt ist.«
Au Backe! Der Tüte mit ihrem Hindi-Label und dem bunten, pfauenartigen Muster nach zu urteilen, war da rin nur ein weiterer Salwar Khameez, um meiner traditionellen Garderobe eine zusätzliche Tracht hinzuzu fügen.
»Ich freue mich sehr, dass du da bist, Kavita«, sagte meine Mutter, als wir im Wohnzimmer waren. »Eine Weile lang hab ich schon geglaubt, du seist immer noch in Indien, weil wir so wenig von dir gehört haben. Wir haben dich praktisch gar nicht zu Gesicht bekommen, seit du an der Uni angefangen hast.«
»Ja, ich weiß, Ji«, sagte Kavita. Sie stand neben dem geschlossenen schwarzen Klavier, das ich nicht mehr angerührt hatte, seit ich keinen Klavierunterricht mehr bei der senilen Mrs Lamour nahm. »Es tut mir wirklich Leid – aber ich war einfach vom ersten Tag an total beschäftigt.«
Ji ist eine Nachsilbe, die in Indien Respekt bedeutet. Ich wusste das, weil ich in der Schule mal ein Referat über Gandhi und seine Philosophie des passiven Widerstands gehalten hatte, und in der Vorbereitung darauf war in vielen Büchern von Gandhiji oder Mahatmaji oder Bapuji die Rede gewesen.
»Nun, ich hoffe, dass du von all der Studiererei ordentlich Appetit mitgebracht hast«, sagte mein Vater. »Deine Tante hat nämlich Essen für eine ganze Armee gekocht.«
»Oh, ich hab 'nen Bärenhunger, Kaka«, lachte Kavita und rieb sich den Bauch, der, wie mir jetzt auffiel, den Stoff ihres Kleides ganz schön spannte. Früher hatte sie nie besonders viel gegessen – im Gegenteil; ich erinnerte mich daran, wie komisch ich mir jedes Mal vorkam, wenn ich mir ein zweites Naan nahm, während sie sich für ein ganzes Gericht nur ein kleines Eckchen abbrach.
»Du hast aber auch ganz schön zugenommen«, sagte mein Vater und nickte anerkennend. Ich konnte es gar nicht fassen, dass er ihr so freimütig erzählte, was wir wohl alle dachten – und einen Augenblick später war ich komplett sprachlos, als ich ihre Antwort hörte:
»Danke, Ji«, erwiderte sie fröhlich, während sie mit der Hand den staubigen Klavierdeckel entlangfuhr und ihn schließlich aufklappte. Die weißen Tasten leuchteten wie die Zähne eines wilden Tieres im Nachtdschungel.
»Dimple, warum zeigst du deiner Cousine nicht ihr Zimmer? Währenddessen schau ich schnell nach dem Gosht«, sagte meine Mutter. »Deine Cousine« – da war es mal wieder, so wie »dein Vater« oder »deine Mutter«. Keine Ahnung, warum sie immer so viel Wert darauf legte, unsere jeweilige Familienzugehörigkeit hervorzuheben.
Ich muss wohl nur dagestanden und darüber nachgedacht haben, jedenfalls fügte sie hinzu:
»Dimple hatte gestern eine etwas abenteuerliche Nacht, Kavita. Dabei sind wohl einige Gehirnzellen abgestorben – offenbar die, die man braucht, um seiner Mutter zuzuhören. Entschuldige, wenn sie ein bisschen langsam ist.«
»Abenteuerlich?«, rief Kavita. »Oh, komm, erzähl!«
Augenblicklich starrte ich auf meine Füße.
»Okay, vielleicht nicht auf leeren Magen«, sagte Kavita schnell.
»Oh, leer ist Dimples Magen auf jeden Fall, das ist wohl richtig«, ätzte meine Mutter.
Kavita blickte erst meine Mutter, dann mich an.
»Sollen wir dann mal deine Geschenke auspacken, Cowgirl?«
Ich nickte theatralisch, denn ich konnte es gar nicht erwarten, dass diese Unterhaltung endlich beendet würde. Kavita hakte sich bei mir unter und wir marschierten in mein Zimmer. Sie hatte schon immer die Angewohnheit, ganz dicht an mich heranzukommen, was mich immer ein bisschen irritierte.
Kaum im Zimmer angekommen, setzte sie ihre Tasche ab.
»Dimple«, sagte sie und blickte mir strahlend in die Augen. »Ich freu mich so, dich wiederzusehen! Du hast dich überhaupt nicht verändert!«
»Hab ich das nicht?«, entgegnete ich, ein bisschen entrüstet. Ich hatte eigentlich gehofft, dass ich mich verändert hätte. »Na, du hast dich aber verändert. Also zum Positiven, meine ich.«
»Ich fühl mich auch wie neu«, erwiderte sie. »Es hat so lang gedauert, bis ich es endlich hierher geschafft habe, und jetzt will ich nie wieder weg.«
»Na ja, also, du bist immer herzlich willkommen.«
»Quatsch, so meine ich das doch gar nicht«, kicherte sie. »Weißt du, als Dadaji gestorben ist, war ich ganz schön niedergeschlagen. Es war schrecklich, nach Indien zurückzufahren und ihn
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