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Karma Girl

Titel: Karma Girl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanuja Desai Hidier
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Fotomotiv, das ich eigentlich gewollt hatte, wofür ich aber keinen Film brauchte, denn es blieb auch so in meinem Gedächtnis: Die zwei sahen sich in die Augen und lächelten, Stirn an Stirn, der Junge berührte mit einer Hand ihre Wange, und auf seiner Hand lag ihre.

15. KAPITEL
Klick
    Um Mitternacht herum änderte sich die Musik. Der Groove wurde düsterer und schien mich geradezu in den Barhocker zu pressen.
    Ich fixierte die Beine des Hockers, als eine Stimme zu mir hinüberwehte, so nah, dass ich fast den Atem spüren konnte.
    »Ist der Stuhl hier noch frei?«
    Ich rückte ein Stückchen zur Seite, und als ich aufsah, erschrak ich fast ein bisschen. Es war Karsh, der einen großen Pappkarton abstellte und sich auf den Hocker neben mir schwang. Ein seltsames Gefühl der Erleichterung durchströmte mich auf einmal.
    »Hallo!«, sagte ich, vielleicht ein bisschen zu enthusiastisch.
    »Hallo, du«, sagte er und ließ sich auf der Sitzkante nieder. Ein Taschengurt spannte sich quer über seine Brust, wie bei einem Fahrradkurier. Die Tasche sah ziemlich schwer aus, aber anstatt sie abzunehmen, fummelte er so lange am Gurt herum, bis er die Tasche hinter sich zwischen Rücken und Lehne auf dem Hocker platziert hatte. Im schummrigen Licht erkannte ich die roten Nikes an seinen Füßen, die er auch bei unserer ersten Begegnung getragen hatte.
    »Tja, ich bin wohl ein bisschen übervorsichtig, wenn's um meine Sachen geht«, entschuldigte er sein Getue.
    »Geht mir genauso«, grinste ich. Es war wirklich lustig, denn ich saß genau wie er mit meinem Rucksack da, den ich mir nach meiner kleinen Fotosession von Sabina hatte zurückgeben lassen.
    »Was hast du denn Geheimnisvolles da drin?«, fragte er und deutete mit dem Kinn auf den Rucksack.
    »Ach, nichts«, sagte ich. »Nur 'n paar Klamotten, ähm, und meine Kamera.«
    »Da scheint mir ›nichts‹ aber untertrieben zu sein«, sagte er.
    Ich schwieg.
    »Ich habe gesehen, wie du versucht hast, von Zara ein Foto zu machen. Wie du ihr durch den ganzen Raum und sogar bis nach draußen gefolgt bist. War ganz schön beeindruckend – wenn du was im Blick hast, lässt du's nicht mehr los! Möchtest du was trinken?«
    Er zeigte auf mein leeres Cocktailglas und das Glas Wasser daneben.
    »Oder vielleicht besser nicht«, sagte er. »Gut, dass du alles ausgeschwitzt hast, sonst wärst du jetzt ganz schön betrunken.«
    Ich nickte, einigermaßen sprachlos. Woher wusste er, wie viel ich getrunken hatte? Von wo aus hatte er mich bloß so genau beobachtet?
    »Das ist echt toll, du mit deiner Kamera«, fuhr er fort.
    »Du gehst voll darin auf, das sieht man, dieser konzentrierte Blick – du imitierst sogar die Leute, die du anzoomst, du bewegst dich wie sie, ja, du scheinst sogar mit ihnen zu reden. Oder du redest mit dir selbst, kann auch sein.«
    »Ich – ich rede mit mir selbst?«, hakte ich nach.
    »Na ja, vielleicht auch nicht«, sagte er schnell. »Sah vielleicht nur so aus.«
    »Wie peinlich«, sagte ich. »Ich rede tatsächlich manchmal im Kopf mit meinem Großvater. Aber ich hatte keine Ahnung, dass ich Sachen laut sage.«
    »Oh, ich weiß nicht, ob du etwas laut sagst. Vielleicht bewegen sich auch nur deine Lippen«, sagte er beinahe entschuldigend. »Warum redest du denn mit deinem Großvater, wenn ich fragen darf?«
    »Weil, also, er … Er ist der Grund, warum ich überhaupt angefangen habe zu fotografieren. Er konnte kein Englisch und ich kein Indisch, also haben wir uns größtenteils mithilfe von Bildern unterhalten.«
    »Das finde ich klasse«, sagte Karsh mit sanfter Stimme. »Ihr habt euch also gegenseitig die Welten gezeigt, in denen ihr lebt?«
    Er schien sich ernsthaft dafür zu interessieren, also wurde ich ganz mutig und erzählte einfach weiter.
    »Genau. Aber das Lustige war, dass die Fotos irgend wann sogar Gefühle ausdrückten. Zum Beispiel: Anstatt zu fragen: Hier ist alles klar, wie geht's dir?, haben wir dafür Motive gesucht. Und häufig schienen die viel passender zu sein. Man kann beispielsweise einen richtig sonni gen Tag haben, aber in einem drin ist es trotzdem be wölkt.«
    Ich hörte mich selbst reden und wurde plötzlich still.
    »Na, ich weiß auch nicht. Du denkst jetzt wahrscheinlich, ich spinne.«
    Karsh lachte.
    »Versuch bloß nicht, Gedankenleser zu werden: Du gehst Pleite! Das hab ich nämlich überhaupt nicht gedacht, ganz im Gegenteil. Ich dachte, dass das ziemlich schön ist, was du da mit deinem Dada erlebt hast. Du scheinst ihn

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