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Karma Girl

Titel: Karma Girl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanuja Desai Hidier
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glücklich zusammen erlebt haben. Fühlt sich an, als läge das schon ein ganzes Jahrhundert zurück – ich kann mich selbst kaum noch daran erinnern.«
    »Wieso von der Bildfläche verschwunden? Ich dachte, er muss nur noch was Geschäftliches in Indien abwickeln?«
    »Ach, von Geschäftlichem kann keine Rede sein«, sagte er. »Ist nur 'n Euphemismus. Meine Mutter hat ihn rausgeschmissen – er ist ein krankhafter Spieler, um es knallhart zu sagen. Es war auch richtig von ihr, aber ich vermisse ihn trotzdem. Ich vermisse ihn die ganze Zeit.«
    Seine Augen begannen zu glänzen und seine Lippen zitterten leicht.
    »Meine Ma ist klasse, aber ich frage mich manchmal, ob mein Vater stolz auf uns wäre. Er könnte schließlich auch behaupten, dass wir Spieler sind, wo wir ganz allein nach Amerika gegangen sind …«
    »Karsh, ganz ehrlich, dein Vater wäre bestimmt stolz auf dich. Und wenn du dir in der Zwischenzeit meinen Vater ausleihen möchtest – nur zu.«
    Er lächelte. Beinahe berührten sich unsere Hände und es fühlte sich ganz seltsam an. Irgendwie elektrisch, wie eine Spannung, die sich von seiner Haut auf meine übertrug.
    »Wahrscheinlich verspüre ich einfach immer nur diesen Druck, andere glücklich machen zu wollen«, sagte er schließlich.
    »Ja, ich weiß, was du meinst«, sagte ich. »Ich kenne das auch, so einen unbestimmten Druck. Manchmal liege ich im Bett und kriege richtig Angst.«
    Warum erzählte ich ihm das bloß? War das nicht komplett verrückt, was ich da redete? Aber es passte einfach, ich hatte das Gefühl, ich könnte ihm alles anvertrauen, wie einem Bruder oder einem wildfremden Menschen.
    »Manchmal fühlt sich einfach alles so groß und riesig an.«
    »Irgendwie rätselhaft, undurchsichtig«, sagte er. »Ich weiß schon. Aber ich habe irgendwann kapiert, dass eine Entscheidung den ganzen Nebel beiseite pusten kann, so wie ein kleiner Sonnenstrahl Licht in ein ganzes Zimmer bringt. Klingt komisch, aber es stimmt.«
    Wir saßen jetzt ganz dicht nebeneinander, und es fühlte sich an, als säßen wir in einer Höhle und um uns herum tobe ein Sturm. Ich bekam von alldem da um uns herum gar nichts mehr mit; ich saß einfach nur da und führte die beste Unterhaltung meines Lebens.
    »Karsh«, sagte ich, »glaubst du an Schicksal?«
    »Kann ich mir durchaus vorstellen. Aber das bedeutet nicht, dass man nicht alles auch selbst in der Hand hat und mitbestimmen und Dinge verändern kann. Man muss einfach an Zufall und Schicksal glauben – Schicksal funktioniert nur rückblickend am besten. Gib einfach dein Bestes und die Dinge werden laufen, wie sie laufen müssen.«
    »Also durch unser Mitwirken, meinst du?«
    »Ja, genau, warum sollte man sonst überhaupt morgens aufstehen?«
    Seine Hand war jetzt so dicht neben meiner, dass es wehtat.
    »Schließlich ist alles ständig in Bewegung – schau nur mal da rüber auf die Tanzfläche. Sogar die Linien in deiner Hand verändern sich.«
    Er nahm ganz zärtlich meine Hand und ich spürte die Berührung sogar tief in mir drin. Er drehte sie um und starrte hinein. Dann saßen wir zwei einfach da und sag ten kein Wort, und trotzdem war es nach wie vor die beste Unterhaltung, die ich je gehabt hatte. Seine Augen wa ren ganz nah. So nah, dass ich mich darin sehen konnte.
    »Dein Schicksal ist vielleicht gar nicht so unergründlich, wie du denkst, Dimple«, sagte er schließlich. »Es könnte dir direkt ins Gesicht schauen.«
    »Hallo Leute!«, rief eine atemlose Stimme.
    Wir schreckten hoch, und unsere Hände stoben auseinander, bevor sie sich richtig hatten berühren können. Fast, als hätten wir etwas Unrechtes getan. Vor uns stand Gwyn und starrte uns an.
    Wir hatten uns so gut unterhalten, und jetzt war alles wie weggeblasen – wie eine Idee für ein Gedicht kurz vor dem Einschlafen, und am nächsten Morgen kann man sich an nichts mehr erinnern. Gwyn hatte wie ein Wecker gewirkt, uns rüde in die Wirklichkeit zurückbefördert. Aber diese Unterhaltung mit Karsh – ich würde sie nie vergessen.
    Gwyn kletterte auf den Barhocker neben mir, wobei sie mich beinahe samt Tasche hinunterstieß.
    Ich wandte mich lieber meinem Cocktailglas zu, das auf wundersame Weise wieder voll war. Ich wollte es gerade zum Mund führen, als Gwyn ihren Kopf nach vorne beugte und gierig einen riesigen Schluck daraus nahm, mit lautem Schlürfen wie aus einem Trog.
    »Mann, bin ich platt! So viel habe ich schon seit Wochen nicht mehr getanzt!«, rief sie. »Ich liebe

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