Karma Girl
schnell zu gewöhnen … Dimple, hier kennt dich niemand. Geh einfach da raus und zeig, was du kannst.«
Sie sah mich verschmitzt an.
»Dann lernst du vielleicht auch einen netten indischen Jungen kennen!«, sagte sie, mal wieder mit diesem lustigen, übertriebenen indischen Akzent. Sie wurde immer besser darin, man musste sich fast Sorgen machen.
»Komm schon, Dimps.«
Der zweite Cocktail begann, langsam zu wirken, also ging ich mit.
Die Musik war noch besser geworden, und unzählige Arme waren in der Luft, die wie wild zum Rhythmus in die Höhe zuckten. Insgesamt schienen mehr Jungs als Mädchen auf der Tanzfläche zu sein. Einige von ihnen tanzten sogar zusammen und bewegten ihre Oberkörper, wie Frauen es manchmal tun. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Unter mir stampfte und wogte ein Meer von Füßen – in Turnschuhen, Pumps oder Chappals, und einer tanzte sogar barfuß. Meine eigenen waren auch darunter, und ich begann, sie unbeholfen zu dem einstudierten Tanzmuster zu bewegen, das ich noch am besten konnte.
Aber Gwyn! Bei der sah das ganz anders aus! Sie, die sich immer blitzschnell anpassen konnte, machte zunächst einfach nur die Bewegungen der anderen Tänzer nach und hatte dann ganz schnell den richtigen Groove drauf. Es dauerte nicht lange, und sie war von einer Horde Jungs umzingelt, die wie wild um sie herumtänzelten. Plötzlich begriff ich, dass ich gar nicht mehr in Gwyns Nähe tanzte, sondern schon komplett aus dem Kreis ihrer Verehrer hinausgedrängt worden war. Das war zwar nicht unbedingt Musik, zu der man mit einem Partner tanzen musste, aber so ganz für mich allein herumzutänzeln, war auch nicht das Wahre. Ich gab Gwyn ein Zeichen (sie nahm allerdings keinerlei Notiz davon) und zog mich wieder an die Bar zurück.
»Was ist denn mit dir los?«, fragte Sabina, als ich auf meinem Hocker saß. Sie verfolgte meinen Blick, der geradewegs auf Gwyn gerichtet war.
»Oh ja, das würde mich auch nerven«, sagte sie. »Ich meine, wir sind hier ja nicht im Aerobic-Kurs. Das ist Bhangra, verdammt noch mal. Und sieh dir nur die Typen an, wie sie um sie rumscharwenzeln. Aber so sind die Männer nun mal.«
»Eigentlich sollte es mich gar nicht stören. Ich müsste mich schon längst daran gewöhnt haben. Es ist nur so, dass ich dachte, dass ich gerade hier … Ach, ich weiß auch nicht.«
»Dass du dich finden würdest?«
»Ja«, sagte ich und starrte in ihr kluges Gesicht. »Woher wusstest du das?«
»Habe ich doch auch schon alles durchgemacht«, sagte sie zu meiner Verblüffung.
»Aber … aber ich fühle mich so verloren wie immer. Eigentlich sogar noch verlorener.«
»Klingt vielleicht seltsam, Dimple, aber manchmal muss man sich verloren fühlen, um sich wiederzufinden. Ein bisschen Verwirrung ist manchmal gar nicht so schlecht. Man fängt an, Fragen zu stellen.«
Sie bemerkte, dass ich nach meinem Rucksack schielte, der hinter der Theke lag und den ich ihr zur Aufbewahrung gegeben hatte.
»Äh, tut mir Leid, wenn ich ein bisschen paranoid rüberkomme, aber da ist meine Kamera drin«, sagte ich entschuldigend.
»Warum benutzt du sie denn dann nicht?«
»Ich würde ja gern, aber ich kann doch nicht hier rum-laufen und Fotos machen.«
»Warum hast du sie sonst mitgebracht?« Sie deutete mit dem Arm einmal quer durch den ganzen Club. »Sieh dir das doch nur mal an. Die ganzen schönen Bilder war ten nur darauf, von dir geknipst zu werden.«
Das reichte schon. Ich nahm Chica Tikka aus dem Rucksack und fühlte mich sofort viel besser. Allein durch ihr bloßes Gewicht in meiner Hand.
Die Musik war jetzt noch cooler geworden. Eine Frau sang mit unglaublich süßer Stimme, da drüber war ein Rapper gemixt, das Ganze über einem groovigen Teppich aus Sitar, Schlagzeug und Bass. Das Lied passte irgendwie haargenau zu meiner Stimmung, und ich hatte das Gefühl, der DJ würde es nur für mich spielen.
Als ich wieder auf die Tanzfläche blickte – überrascht, diese wogende Menge zu sehen, während ich gerade einen fast besinnlichen Moment gehabt hatte –, passierte etwas, was ich kaum fassen konnte.
Vor meinen Augen wurde Gwyn langsam, aber sehr sicher von ihrem Tanzköniginnen-Thron enthoben, und zwar von der schönsten Frau, die ich je gesehen hatte. Sie sah aus wie eine indische Göttin, gekleidet in einen Sari im schönsten Bollywood-Stil mit einem Hauch von Silberglitzer auf den Wangen. Ihre langen schwarzen Locken fielen ihr den Rücken hinab, seidig wie bei einem Mannequin, und
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