Karma Girl
nicht mehr so einfach, wie du denkst.«
»Na, das muss ja eine Konferenz gewesen sein«, sagte er ein wenig ratlos, und ich spürte, wie erleichtert er war, als meine Mutter samt Kellnern, die dampfende Speisen trugen, an den Tisch zurückkam. Sie hatte scheinbar der gesamten Küchenmannschaft gezeigt, wo's kochtechnisch langging.
»Wir sprachen gerade darüber, wie, äh, wie schön doch die Konferenz gestern war«, sagte Gwyn. »Ich habe viel zum Thema ›Südasiatische Identität‹ gelernt.«
»Na, und deine kleine Rede hat mich auch nicht schlecht beeindruckt«, sagte Karsh. »Das Mädel ist echt 'ne Wucht, die lernt echt schnell.«
»Dimple lernt auch sehr schnell«, sagte meine Mutter.
»Ich sitze direkt neben dir, Mama.«
»Hab ich nicht Recht, Dimple?«
»Lass uns einfach mit dem Essen beginnen, Mama«, sagte ich. »Also: Bon appétit.«
»Seht ihr? Dimple spricht zum Beispiel sogar Französisch. Nicht wahr, Dimple?«
Meine Mutter glaubt jedes Mal, wenn ich irgendein Fremdwort benutze, dass ich fließend die jeweilige Sprache spreche.
»C'est pas vrai!«, sagte Karsh.
»Ebenso«, sagte ich.
»Und ihre Muttersprache ist Marathi.«
»Mama, ich sprech kein Marathi.«
»Nun, ich spreche es aber, und deshalb ist es deine Muttersprache. Bin ich etwa nicht deine Mutter?«
Sie beugte sich in Richtung Kuschelecke, in der Gwyn und Karsh saßen.
»Gwyn? Sprichst du Marathi?«
Sie fragte das in freundlichem Ton, aber ich merkte, dass etwas im Busch war.
»Na, siehst du«, sagte sie und sah zufrieden aus. Schnell warf sie Karsh noch einen bedeutungsvollen Blick zu, doch der war bereits damit beschäftigt, Gwyn zu zeigen, wie man die Idli zunächst in die Sambar und dann in das Kokosnuss-Chutney tunkte. Nun ja, c'est la vie.
Sekunden später ging es mit la vie allerdings ein bisschen zu weit: Karsh hob eine Hand, und Gwyn öffnete ihren Mund – und ich zuckte regelrecht bei dem Gedanken zusammen, den beiden dabei zusehen zu müssen, wie sie sich gegenseitig fütterten. Doch im nächsten Augenblick wurde es ziemlich unruhig hinter uns und schon stand das laute Energiebündel Radha an unserem Tisch. Sie zog sich einen Stuhl heran und zwängte sich geradewegs zwischen Gwyn und Karsh. Sie schien vollkommen übersehen zu haben, dass wir ihr extra einen Platz auf der anderen Tischseite freigehalten hatten – und genau deshalb war mir diese Frau auf einen Schlag noch sympathischer.
»Meine Herren!«, rief sie. »Reich mir mal 'nen Teller! Das war vielleicht ein Tag!«
»Was war denn los?«, fragte meine Mutter.
»Ach, reden wir nicht drüber. Ich bin übrigens Radha«, stellte sie sich Sabina und Gwyn vor. »Karshs Mutter.«
»Sie sind also Radha!«, sagte Gwyn. »Wow! Ist eine Ehre für mich, Sie kennen zu lernen. Karsh hat schon erzählt, dass Sie 'n echter Hammer sind.«
Wahrscheinlich war ich die Einzige, die sehen konnte, dass Gwyn unter dem Tisch nervös mit ihrer Serviette herumhantierte und sie beinahe in Stücke riss. Ihre Augen hatten denselben animalischen Blick wie damals im HotPot, als sie gegen Zara angetanzt hatte.
»Wie seltsam«, sagte Radha. »Soll das heißen, dass ich die Fähigkeit habe, sein Leben mit einem Schlag zu zerstören.«
»Um Himmels willen, nein!«, rief Gwyn entsetzt. »So hab ich das nicht gemeint, Mrs … Tante. Nein, nicht Tante. Ähm …«
»Radha.«
»Mrs Radha. Das sagt man einfach so. Das bedeutet nur, dass derjenige gut drauf ist. Ich hab übrigens noch nie jemanden so von seiner Mutter schwärmen hören wie Karsh.«
»Ist das wahr?«, sagte meine Mutter und warf mir einen enttäuschten Blick zu.
»Außer Dimple«, kam mir Karsh zu Hilfe.
»Ist lieb von dir, Karsh, aber ob ich das glauben soll?«, sagte meine Mutter und bedachte abwechselnd mich mit einem bitterbösen Blick und Karsh mit einem honigsüßen Lächeln.
»Wo sind denn eigentlich deine Brüder, Gwyn?«, fragte Radha und stopfte dabei Dosa in sich hinein, während wir anderen uns an Kheer und Karotten-Halva hielten.
»Welche Brüder?«
Radha deutete auf Gwyns Handgelenk.
»Oh, wegen der Rakhis? Äh, nein, ich hab keinen Bruder. Das war nur …«
»Die passten damals einfach gut zu ihrem Outfit«, sagte ich schmollend.
»Und du hast gar keinen Bruder?«
Gwyn schüttelte verlegen den Kopf.
»Na, macht nichts. Ich hab in meinem Leben Rakhis auch nicht nur strikt an meine Brüder verschenkt«, sagte Radha geheimnisvoll.
»Nein?«
»Nö. Ob du's glaubst oder nicht, aber ich hatte mal einen
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