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Karriere oder Jakobsweg? Wegezeit - Wendezeit. Mein Weg nach Santiago De Compostela

Karriere oder Jakobsweg? Wegezeit - Wendezeit. Mein Weg nach Santiago De Compostela

Titel: Karriere oder Jakobsweg? Wegezeit - Wendezeit. Mein Weg nach Santiago De Compostela Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Dankbar
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war davon ausgegangen, dass er an diesem Tag in León ankommen und als katholischer Theologe sicherlich in unserer Herberge übernachten würde. Irgendwann spazierte er tatsächlich durch das riesige Tor und wir freuten uns beide sehr über das Wiedersehen. Ich sagte ihm, dass ich es mir gewünscht hätte, dass er kommt und er entgegnete: »Wenn ich ehrlich bin, ich auch.« Wie allen anderen musste ich ihm über mein Bein Auskunft geben, es war ja durch die Bandage auch zu offensichtlich. Hatte ich bisher schon wenige Probleme gehabt, mit meinen Mitpilgern in Kontakt zu gelangen, so schien der Verband nun die reinste Einladung zu sein, um mit mir ins Gespräch zu kommen. Offen gestanden dienen solche Blessuren und sonstige Verletzungen den Pilgern nicht selten dazu, sich zu beweisen, wie hart und entbehrungsreich doch der Pilgeralltag ist. Diese Geschichten unterwegs wie auch später zu Hause zu erzählen, unterstreicht, dass es nicht selbstverständlich ist, so viele Kilometer zu bewältigen.
    Der Abend mit Malin und Michael war kurzweilig wie immer, aber auch wehmütig. Wir beobachteten das Treiben in der Altstadt, in der es wieder laut und bunt zuging. Viele festlich gekleidete Menschen flanierten vor der Catedral de Santa Maria de la Regia, darunter Familien, die gerade vom gemeinsamen Gottesdienstbesuch kamen, sowie zwei Hochzeitsgesellschaften, die sich für ein Erinnerungsfoto vor der beeindruckenden Fassade der Kathedrale versammelten. Daneben unterhielten wir uns lebhaft, mal lachten wir ausgelassen, mal sprachen wir ernst über das, was uns im Alltag wieder erwarten würde, was wir vielleicht oder ganz sicher ändern wollten, welche Hoffnungen wir hatten. Sie wussten vom Wunsch, meinem uralten Kindheitstraum, ein Buch zu schreiben. Ihnen hatte ich von meiner Leidenschaft, Worte in Sätze zu verwandeln, Sätze mit Sinn und Schönheit zu formulieren, erzählt. Ihnen hatte ich auch anvertraut, dass ich vielleicht zukünftig Menschen und ihre inneren Bedürfnisse in den Vordergrund meiner Arbeit stellen wollte. Es war klar, dass ich mich nicht länger wirtschaftlichen Sachzwängen und Vernunftgründen unterwerfen wollte, auch wenn mir klar war, dass ein Wirtschaftsunternehmen diesen unterliegt. Es war zwar noch nicht deutlich, wie ich das erreichen würde, aber die Idee, mich um die »weichen« Themen, den sogenannten Non-Profit-Themen, in einem Unternehmen zu kümmern, ließ mich schon die ganze Zeit während des Wanderns nicht los. Wir tauschten uns über die Höhen und Tiefen unseres Privatlebens aus. Ihnen hatte ich sehr freimütig von meinen gescheiterten Beziehungen, auch von meiner Ehe, berichtet. Durch die Beschreibungen der Männer in meinem bisherigen Leben und des Zusammenlebens mit ihnen, der wunderbaren wie auch weniger schönen Erlebnissen und der darauf folgenden Frage von Malin und Michael, ob ich irgendwen oder irgendetwas bereuen würde, wurde mir bewusst, wie gut ich meine Vergangenheit annehmen konnte. Natürlich spürte ich an manchen Stellen meiner Erzählungen noch Traurigkeit oder Verletzung, aber da war immer auch ganz viel Dankbarkeit. Denn durch diese Erfahrungen hatte ich mich weiterentwickelt. An diesen Herausforderungen war ich gewachsen. Nein, den Wunsch »wäre mein Leben doch anders verlaufen«, den hatte ich nicht. Es war vertraut zwischen uns, unsere gemeinsame Zeit auf dem Camino neigte sich dem Ende zu. Wir drei wussten, dass dies unwiderruflich der letzte gemeinsame Abend sein sollte. Malin musste spätestens am 21. Juni in Santiago ankommen, da sie rechtzeitig in Stockholm sein musste, sie hatte tatsächlich die Stelle fest in Aussicht. Ich war mindestens noch einen weiteren Tag in León und die beiden hatten ihr Tagespensum mittlerweile auf durchschnittlich 35 Kilometer hochgeschraubt, da wollte und konnte ich definitiv nicht mithalten. Wenn ich meine liebsten und wichtigsten Gefährten des Jakobsweges aufzählen sollte, gehören meine »Wikingerfreunde« ganz sicherlich dazu. Ich schätzte sie, weil sie einen unvergleichlichen Humor hatten, mir gegenüber offen und ehrlich waren und ich mich in ihrer Gegenwart sehr jung und sehr frei gefühlt habe. Sie strahlten einen gewissen Freiheits- und Unabhängigkeitsdrang aus, der auf gewisse Weise auch in mir ist, und beide umgab ein Hauch von Rock’n’Roll. Auch sie fühlten sich offensichtlich wohl mit mir, denn Malin schrieb mir später »You made my pilgrimage much better.« Wir verabschiedeten uns, nicht ohne das

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