Karriere oder Jakobsweg? Wegezeit - Wendezeit. Mein Weg nach Santiago De Compostela
gesehen. Dies und das regenreiche, wenn auch milde Klima tragen dazu bei, dass Galicien zu den ärmsten Gegenden von Spanien zählt. Für mich trotzdem unverständlich, denn landschaftlich ist Galicien wunderschön und hinterlässt tiefe Eindrücke. An meinen Aufstieg zum O Cebreiro kann ich mich jedenfalls noch sehr gut erinnern: Nach La Faba ging es zunächst noch durch bewaldete Gebiete, doch dann boten sich mir atemberaubende Fernblicke. Dicht begrünte Hügelketten lagen mit ihren Spitzen im gleißenden Morgenlicht, immer wieder durchzogen von dunkelrot leuchtenden Erikafeldern.
Schmale Bergstraßen schlängelten sich in Kurven hinauf. Ich sah kaum Häuser, geschweige denn Dörfer. Die Natur nahm mich gefangen. Noch heute beim Schreiben dieser Zeilen fühle ich meine damalige Stimmung. Ich hatte das Gefühl ganz allein zu sein, aber es war in keiner Weise unangenehm, denn ich empfand mich als selbstverständlichen Teil der Natur. Ich spürte an diesem Morgen meinen Körper sehr intensiv. Mein Herz klopfte stark und kräftig, meinen Puls nahm ich deutlich wahr und der Schweiß rann mir in kleinen Rinnsalen den Körper hinunter. Selten zuvor habe ich mich so lebendig empfunden. Der Impuls mich dem Fluss des Lebens zu überlassen, einfach zu sein, so wie alles um mich herum, war ganz stark. In dieser gelösten, heiteren und schönen Stimmung erreichte ich das Dorf O Cebreiro, das zu Recht als eines der schönsten Dörfer auf dem Camino gilt. Es ist denkmalgeschützt, da man hier noch die für die Region typischen Pallozas, strohgedeckte Steinrundhütten keltischen Ursprungs, besichtigen kann. Auch steht hier die älteste erhaltene Kirche am Camino, die im 9. Jahrhundert erbaute Kirche Santa Maria la Real. Damals gehörte sie zu einem Benediktinerkloster. Sie ist auch ein Ort, an dem um 1300 ein heiliges Wunder geschehen sein soll. Die Legende besagt, dass sich ein frommer Bauer in einer stürmischen Winternacht den O Cebreiro hinaufgekämpft haben soll und der mit der Liturgie beauftragte Mönch deshalb geringschätzig gedacht haben soll: »Was für ein Dummkopf, erträgt so ein Unwetter, nur um ein Stück Brot und ein bisschen Wein zu sehen.« Im gleichen Moment sollen sich die Hostie und der Messwein in echtes Fleisch und Blut verwandelt haben. Beides ist noch heute in zwei Phiolen in der Capilla Santo Milagro zu besichtigen. Der Kelch und die Hostie sind auch Teil des galicischen Wappens geworden.
Die Kirche konnte ich nicht besichtigen. Ich war wieder einmal viel zu früh, sie öffnete ihre Pforten erst um zehn Uhr. Trotzdem ärgerte ich mich nicht, denn zwei Stunden zu warten war nicht meine Sache und den morgendlichen Aufstieg mit meinen sehr persönlichen Eindrücken hätte ich dafür einfach nicht eintauschen wollen. Gott kann man eben auch außerhalb von Kirchenmauern begegnen. Ich ließ mich treiben, als ich durch das kleine Dorf ging und genoss die Aussicht von hier oben auf die andere Talseite. Dort lagen noch dichte Nebelschwaden zwischen den einzelnen Bergen, vielleicht waren es aber auch tief liegende Wolken, der Himmel darüber war klar und leuchtend blau. Auf dieser Seite konnte ich wesentlich mehr Dörfer ausmachen, es schien weniger einsam zu sein.
Ich frühstückte in einer wirklich hübschen, kleinen Bodega im Dorf, die an diesem frühen Morgen bereits geöffnet hatte. Zunächst war ich allein, doch dann kam eine Frau mittleren Alters mit drei Teenagern im Schlepptau herein. Sie waren mir am Tag vorher in der Herberge schon aufgefallen. Diesmal kam ich mit ihnen ins Gespräch. Es handelte sich um eine Mutter mit ihren drei Töchtern. Die älteste Tochter fehlte sogar noch, sie war mit ihrem Freund erst später aufgebrochen. Sie kamen aus den USA.
Wo der dazugehörige Vater abgeblieben war, interessierte mich zwar brennend, aber ich konnte die Frage nach ihm doch zurückhalten; wobei ich zugeben muss, dass es mir ein wenig schwerfiel.
Als ich nach gut einer Stunde weiterwanderte, traf ich Elvira und Martin wieder. Sie zu sehen, freute mich jedes Mal. Bei den beiden hatte ich den Eindruck, dass sie mich im Blick hatten. Sie hatten echtes Interesse an mir, solange sie in meiner Nähe waren, konnte ich nicht verloren gehen, dessen war ich mir sicher und das tat mir einfach gut.
An diesem Tag passierte noch so viel. Es war einer der Tage, die randvoll waren mit Ereignissen, Begegnungen und Eindrücken. Die Natur zog mich immer wieder neu in ihren Bann. Alles zu beschreiben, so wie es in
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