Karrieresprung
Erpresst er Sie?«
Knobel wagte nicht den Blick in Rosenbooms Gesicht, fixierte den Stift und drückte ihn fest in die Schreibtischunterlage.
Rosenboom erhob sich und trat ans Fenster.
»Sie haben gelernt, die Dinge beim Namen zu nennen. Meinen Glückwunsch!«
Knobel wartete.
»Der Rückschluss war natürlich nicht schwer«, meinte Rosenboom. »Sie haben Recht. Es ist eine Art Spiel.«
Er wandte sich abrupt um.
»Aber zwingen Sie mich bitte nicht. Ich gehe davon aus, dass die Geschichte ohnehin bald erledigt ist.«
Knobel schwieg.
»Ich weiß, Sie fordern das Vertrauen des Mandanten ein«, sagte Rosenboom. »Aber der Anwalt muss auch Vertrauen zu seinem Mandanten haben und seinen Auftrag so ausführen, wie es der Mandant wünscht, jedenfalls soweit er nicht gegen seine Ehre handelt. Und gegen Ihre Ehre handeln Sie ja nicht. Sie arbeiten gern, und Sie arbeiten gut, sehr erfolgreich sogar. Bedenken Sie nur, was Sie in kurzer Zeit alles erreicht haben.«
Knobel verstand den Hinweis.
»Ich habe gewiss keinen Grund zu klagen.«
»Ich bitte Sie nur, meinen Auftrag auszuführen und zu akzeptieren, dass Sie nicht alles über den Fall wissen, ohne dass Ihnen dies schadet. Sie werden in vielen Fällen nicht alles wissen. Der Mandant wird Ihnen immer nur seine Version der Dinge erzählen, und die wird häufig nicht der Wahrheit entsprechen. Vielleicht lügt der Mandant Sie noch nicht einmal an, sondern ist wahrhaftig davon überzeugt, dass das, was er Ihnen erzählt, richtig ist. Sie müssen den Mandanten hinnehmen und Sie müssen seine Version hinnehmen. Was glauben Sie, wie sich der Mandant fühlt, wenn Sie ihn und nicht den Gegner hinterfragen? Ich will es Ihnen sagen: Der Mandant wird sich verraten fühlen.«
Knobel schwieg weiterhin.
»Es kann also keinen Unterschied machen, ob Sie von der Version des Mandanten überzeugt sind, obwohl Sie in Wirklichkeit falsch ist, oder ob Sie ahnen, vielleicht sogar wissen, dass sie nicht richtig oder nicht vollständig ist. Vor Gericht kämpfen doch die Parteien gegeneinander. Die Anwälte sind nur ihre Soldaten. Was können Sie anders tun als die Sache Ihres Mandanten zu vertreten? Die Frage heißt eigentlich: Was dürfen Sie anders tun?«
Rosenboom hatte mittlerweile das Fenster verlassen. Die Hände auf dem Rücken lief er im Büro auf und ab.
Knobel empfand es als künstliches Schreiten, eine ihn anwidernde Geste des Dozierens. Er hätte entgegnen können, dass der Anwalt nicht das Werkzeug seines Mandanten sei, aber er unterließ es. Die Bedeutung des Mandanten Rosenboom für die Kanzlei, die Bedeutung der ihm von Rosenboom übertragenen Mandate, die Gewichtung des Faktors Rosenboom bei der Entwicklung seiner Umsatzzahlen verboten es. Knobel verdrängte den befremdenden Gedanken der eigenen Käuflichkeit. Rosenbooms Ansicht war nicht wirklich falsch, eher war sie nur pragmatisch. Es gab keine Grenze zu ziehen, keine Bastion zu verteidigen. Es war lediglich eine Frage der Moral in der laufenden Geschäftsbeziehung, an dieser Stelle deplaziert und unangemessen vom Kanzleijunior gestellt, die alte Seilschaft zwischen Dr. Hübenthal und Rosenboom übergehend, das eigentliche Band des Erfolges und der Grundstein des Mandats.
Knobel korrigierte.
»Es liegt mir viel daran, Ihnen zu helfen, wenn Sie in Schwierigkeiten sind.«
Sein Mandant stellte das Schreiten ein und setzte sich.
»Ich weiß. Und ich weiß Ihre Loyalität zu schätzen. Ich habe Sie nicht ohne Grund als Ansprechpartner für meine privaten Angelegenheiten ausgewählt. Ich will keinen Terrier, keinen Löffke. Ich will den sensiblen Anwalt.«
Knobel versprach, behilflich zu sein.
An diesem Abend blieb er länger im Büro. Er wartete, bis das Licht in den anderen Büros erlosch und auch die Putzfrauen das Gebäude wieder verlassen hatten. Lisa hatte er anrufen und ihr mitteilen wollen, dass er später kommen werde. Er erreichte nur ihren Vater und erfuhr, dass sie zur Gymnastik gegangen war und danach noch zu einer Freundin wolle.
»Du arbeitest viel in letzter Zeit, Junge«, sagte ihr Vater.
»Es ist so viel zu tun, Du kennst ja den Beruf.«
»Lass das Mädchen nicht allein.«
Er stockte.
»Du lässt sie doch nicht allein?«, fragte er hastig nach.
»Natürlich nicht, Vater.«
Knobel konnte sich nicht erinnern, ihn jemals Vater genannt zu haben. Die Anrede war fremd. Er benutzte sie nicht einmal seinem eigenen Vater gegenüber.
»Unaufschiebbare Klageerwiderung, Fristablauf morgen«, ergänzte
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