Kartiks Schicksal
aufragt.
Die Räuchertöpfe entlang des staubigen Weges stoßen ihren farbigen Qualm aus. Gewöhnlich verbreitet das Räucherwerk einen lieblichen Duft, aber heute riecht es anders, irgendwie scharf und unangenehm. Die Hadschin wirken beunruhigt. Als warteten sie auf einen angekündigten Sturm.
»Lady Hope«, sagt Ascha mit einer Verbeugung.
»Ich muss zum Brunnen der Ewigkeit«, sage ich und gehe weiter, ohne stehen zu bleiben.
Ascha weicht nicht von meiner Seite, den ganzen Weg durch das Labyrinth von Gängen hält sie mit mir Schritt. »Lady Hope, mein Volk hat Angst. Philons Clan beschuldigt uns, heimlich mit dem Orden zu kollaborieren …«
»Und, tut ihr das?«, frage ich.
»Das wirst du doch nicht auch glauben?«
Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll. Der Orden schmiedet einen Plan und ich werde diesen Ort nicht eher verlassen, als bis ich etwas darüber in Erfahrung gebracht habe. Wir haben die Höhlen der Seufzer erreicht. »Ascha, ich muss jetzt allein sein.«
Sie verbeugt sich wieder. »Wie du wünschst, Lady Hope.«
Circes Körper treibt unter der glasähnlichen Oberfläche des Brunnens. Auch wenn wir dadurch getrennt sind, fühle ich ihre Gegenwart so stark, dass ich kaum atmen kann.
»Sie sind also doch zurückgekommen.«
Ich brauche Ihre Hilfe. Sosehr ich mich auch bemühe, ich bringe die Worte nicht über die Lippen.
»Irgendetwas ist im Gange und ich will wissen, was!«
Sie sagt mit ersterbender Stimme: »Sie kennen … den Preis … für meinen Rat?«
Ich schlucke schwer. Nun, wo ich hier bin, gibt es kein Zurück mehr. Und wenn ich ihr die Magie gebe, die sie haben will, wer kann beschwören, dass sie mir nichts antun wird? »Ja. Ich kenne ihn.«
»Und sind Sie bereit, sie mir … aus freiem Willen … zu geben?«
»Habe ich denn eine Wahl?«, erwidere ich. Dann lache ich bitter auf, da ich genau weiß, wie ihre Antwort lauten wird. »Ja, ich weiß, es gibt immer eine Wahl. Also gut. Ich treffe meine Wahl und gebe Ihnen, was Sie haben wollen, im Tausch gegen das, was ich brauche.«
»Aus eigenem, freiem Willen …«
»Ja, aus meinem eigenen, freien Willen!«, sage ich ungeduldig.
»Dann kommen Sie her zu mir«, flüstert sie, nicht lauter als das Rascheln von Seide.
Ich trete zum Brunnen, wo sich ihr Körper wie ein Phantom gegen das Siegel des Wassers presst. Ich nehme all meine Kraft zusammen, um in diese leeren Augen zu blicken.
»Hören Sie mir genau zu, Gemma«, fährt sie in ihrem schleppenden, heiseren Flüsterton fort. »Tun Sie genau, was ich Ihnen sage, sonst töten Sie mich und erfahren nichts.«
»Ich höre«, sage ich.
»Legen Sie Ihre Hand auf die Eisfläche und erwecken Sie den Brunnen zum Leben …«
»Aber ich dachte, es würde Sie töten …«
»Tun Sie es nur so lange, bis das Siegel bricht und das Wasser klar wird.«
Meine Finger verharren zögernd am Brunnenrand. Los, Gemma, mach schon. Bring’s hinter dich. Langsam senke ich meine zitternden Hände so weit, bis ich die Oberfläche leicht berühre. Sie schmilzt unter meiner Berührung. Das Wasser wird klar und Circe schwebt empor, bis ihr Gesicht fast die Oberfläche durchbricht.
»Gut, gut«, flüstert sie. »Jetzt legen Sie Ihre Hand auf mein Herz und geben Sie mir ein bisschen Magie – aber nur eine ganz kleine Menge. Ich bin schwach und kann nur wenig verkraften.«
Ich halte meine Hand in das Wasser, bis der durchweichte Stoff von Circes Oberteil dagegengespült wird, und unterdrücke einen Schrei.
»Jetzt«, seufzt sie.
Bald wandert die Magie zwischen uns, spinnt einen unsichtbaren Faden. Ich fühle nichts von Circes Gedanken, nur meine eigenen, die zu mir zurückgespült werden.
»Hier«, sage ich und reiße mich rasch los.
Miss Moore taucht auf, bis sie friedlich an der Oberfläche schwimmt. Ihre Wangen und ihre Lippen zeigen einen Hauch blassesten rosa Schimmers. Die leer blickenden Augen blinzeln zum ersten Mal. Ihre Stimme gewinnt an Kraft.
»Danke, Gemma«, murmelt sie.
»Ich habe getan, was Sie verlangt haben. Jetzt will ich Antwort auf meine Fragen.«
»Selbstverständlich.«
Während ich spreche, umkreise ich den Brunnen. Ich will sie nicht ansehen. »Was meinten Sie, als Sie sagten, der Orden schmiede ein Komplott gegen mich? Wie kann ich die Rakschana aufhalten? Was sollte ich über das Magische Reich, über die dunklen Geister der Winterwelt und über diese Magie wissen? Was wissen Sie von …«
»So viele Fragen«, murmelt sie. »Und doch ist die Antwort ganz
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