Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kartiks Schicksal

Kartiks Schicksal

Titel: Kartiks Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Libba Bray
Vom Netzwerk:
täuscht, beteilige ich mich an dem Geschrei.
    Die Kapelle schwankt vor meinen Augen im Takt mit meinem stoßweisen Atem. Was immer hinter mir ist, es kommt rasch näher, und nun höre ich auch Pferde, Pferde, die plötzlich direkt aus der Luft gekommen zu sein scheinen. Ich werfe mich mit aller Kraft gegen die Tür der Kapelle, aber sie will sich nicht öffnen. Der Staub des Weges wirbelt um mich herum auf.
    Hunde. Ich höre das Gebell von Hunden. Sie sind nahe. Und schlagartig legt sich der Staub. Das Geräusch von Pferden und von Vögeln klingt zu einem dumpfen Pochen ab und verhallt. Geflacker von Fackeln und Rauch aus dem Wald. Die Zigeuner sind gekommen – einige zu Pferd, die anderen zu Fuß.
    »Gemmai« Kartiks Stimme.
    »Ich … hab sie … gesehen … ich …« Ich presse die Hand an meinen Magen. Ich kann nicht sprechen. Kann nicht atmen.
    »Hier«, sagt er und nimmt meinen Arm, um mich zu stützen. »Wen haben Sie gesehen?«
    Nach ein paar Luftzügen kehrt meine Stimme zurück. »Männer … im Wald. Millers Männer – die, die verschwunden sind.«
    »Sind Sie sicher?«, fragt Kartik.
    »Ja.«
    Die Zigeuner schwärmen unverzüglich aus. Die Hunde schnuppern verwirrt am Boden.
    »Mrs Nightwing hat mich in die Kapelle geschickt, um ein Gesangbuch zu holen«, erkläre ich.
    »Allein?« Kartik zieht die Augenbrauen hoch.
    Ich nicke. »In der Kapelle … sind die Fenster lebendig geworden«, flüstere ich. »Sie haben mich davor gewarnt, in den Wald zu gehen!«
    »Die Fenster haben Sie gewarnt«, wiederholt Kartik langsam und mir wird klar, dass er an meinem Verstand zweifelt. Was ich ihm nicht verdenken kann.
    »Der Engel, der mit dem Medusenhaupt … ist lebendig geworden, hat mich gewarnt. ›Der Wald ist nicht sicher.‹ Und damit nicht genug. Er sagte etwas von einem Opfer – ›Wenn du in der Winterwelt geopfert wirst, geht die Magie auf sie über und alles ist verloren.‹«
    Kartik nagt nachdenklich an seinen Lippen. »Sind Sie sicher, dass es keine Vision war?«
    »Ich glaube nicht, dass es eine war. Und dann habe ich auf dem Weg diese Männer gesehen und sie schienen wie Gespenster. Sie sagten, sie seien gekommen, um mich zu holen.«
    Ein plötzlicher, entsetzter Schrei dringt aus dem Zigeunerlager. Gefolgt von noch mehr Geschrei.
    »Bleiben Sie hier ! «, bestimmt Kartik.
    Um keinen Preis bleibe ich allein hier. Ich hefte mich an seine Fersen. Bei jedem Schritt dröhnt die Stimme des Engels in meinen Ohren: Der Wald ist nicht sicher. Im Lager herrscht Chaos – Gezeter, Flüche, Gebrüll von Männerstimmen. Gespenster sind hier keine. Es sind Mr Miller und seine Arbeiter. Sie zerren die Frauen aus den Zelten, durchwühlen die Wohnwagen und stopfen alles in ihre Taschen, was sie finden. Als die Frauen versuchen, ihr Hab und Gut zu beschützen, drohen ihnen Mr Millers Männer mit Fackeln. Eine Frau stürzt sich auf einen der Plünderer und drischt mit den Fäusten auf ihn ein, bis ein anderer ihr einen Schlag ins Gesicht versetzt.
    Die Hunde werden losgelassen. Sie greifen einen der Männer an und werfen ihn zu Boden, wo er schreiend liegen bleibt. Messer werden gezückt.
    »Inspektor Kent ist in Spence zu Besuch. Ich gehe schnell, ihn zu holen«, sage ich, aber beim Gedanken an den unheimlichen Wald, wo geisterhafte Gestalten lauern, werden meine Füße schwer wie Steine. Ich zögere und in diesem Moment zieht Mr Miller seine Pistole und gibt zwei Schüsse in die Luft ab. »Also. Wer will Blei in seinen Bauch? Ich will wissen, wo meine vermissten Männer sind.«
    Er zielt auf einen der Zigeuner. Um Inspektor Kent zu holen, ist jetzt keine Zeit. Es muss sofort etwas geschehen.
    »Halt!«, brülle ich.
    Mr Miller versucht, mit den Augen die Dunkelheit zu durchdringen. »Wer war das?«
    »Ich«, sage ich und trete ins Licht.
    Mr Millers Gesicht verzieht sich zu einem breiten Grinsen und er lacht höhnisch. »Sie? Sind Sie nicht eines von den Spence-Mädchen? Was wollen Sie? Mir Tee servieren?«
    »Inspektor Kent von Scotland Yard hat uns heute Abend einen Besuch abgestattet«, sage ich und hoffe, um vieles selbstsicherer zu klingen, als ich mich fühle. »Wenn Sie nicht auf der Stelle verschwinden, werde ich ihn holen. Tatsächlich könnte er schon auf dem Weg hierher sein.«
    »Sie gehen nirgendwohin.« Mr Miller nickt und zwei seiner Männer kommen auf mich zu. Kartik tritt zwischen uns. Er versetzt jedem von ihnen einen gediegenen Faustschlag, aber ein weiterer stürzt sich ins Getümmel und drei

Weitere Kostenlose Bücher