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Kartiks Schicksal

Kartiks Schicksal

Titel: Kartiks Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Libba Bray
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schüttelt mir die Hand und geht den Hügel hinunter. Ich bin allein auf dem Friedhof.
    »So weit ist es gekommen«, sage ich und drücke die Handrücken an meine Augen. »Nur die Toten wollen meine Gesellschaft.«
    Meine Knie versagen mir als Erste den Dienst. Die Gewalt der Vision ist so groß, dass ich auf den Boden sinke, die Hände an meinen Magen gepresst. Meine Muskeln sind gespannt. Der Himmel scheint entzweizureißen; die Wolken sind in Rot getaucht.
    Gott. Ich kann nicht atmen. Kann nicht …
    Wilhelmina Wyatt steht zwischen den Grabsteinen. Ihr Gesicht ist wutverzerrt. Sie packt mein Haar und zerrt mich auf die Gräber zu. Ich trete und schlage wild um mich, aber sie ist stark. Als wir das offene Grab von Eugenia Spence erreichen, gibt sie mir einen festen Stoß. Ich falle und sehe mit Entsetzen, wie sich die Erde über mir schließt.
    »Nein, nein, nein!« Ich scharre mit meinen Fingern an den Wänden des Grabes und schreie verzweifelt. »Hilfe!«
    Die Erde zerfällt und ich stehe auf der Heide in der Winterwelt, vor dem Baum Aller Seelen. Ich sehe Eugenias erschrockene Augen. »Retten Sie uns …«, fleht sie.
    Ich trete mit aller Kraft. Das Grab stürzt in sich zusammen und ich bedecke meine Augen, als die Erde auf mich herabregnet.
    Es ist still. Ich höre … Mädchenstimmen. Lachen. Ich nehme die Hände herunter und öffne ein Auge. Ich bin zurück auf dem Friedhof. An meinen Stiefeln und meinem Rock klebt Erde. Wilhelmina ist fort. Ich bin allein. Das Grab von Eugenia Spence ist heil und ganz. Das Veilchen, das ich auf den Grabstein gelegt habe, liegt auf dem Kiesweg.
    Auf Gummibeinen schlängle ich mich durch die Grabsteine. Die Raben fallen wie schwarze Regentropfen vom Himmel. Sie lassen sich auf den Grabsteinen nieder. Ich halte mir die Ohren zu, um ihr entsetzliches Gekrächze auszusperren, aber es kriecht wie ein Gift unter meine Haut.
    Ich stakse den Hügel hinunter und setze mich nieder, weine leise vor mich hin, die Knie an meine Brust gedrückt. Wenn ich mich nicht aus dem Grab befreit hätte …
    Oder war alles nur Einbildung?
    Nein, ich habe gespürt, wie sie mich an den Haaren gezogen hat, ich habe gefühlt, wie ich gefallen bin, wie sich die Erde geschlossen hat. Wilhelmina Wyatt macht mir Angst.
    Sie konnte ins Dunkel sehen. Das war es, was Eugenia über sie gesagt hat. Aber was, wenn sie Teil der Dunkelheit ist? Was, wenn sie mit den dunklen Geistern im Bund steht?
    Und ich weiß nicht mehr, ob sie mir helfen oder mich töten will.
    Ich beobachte, wie die Mädchen um den Maibaum rennen. Morgen werden sie in ihre Kostüme schlüpfen und wie Elfen tanzen, sorglos und unbekümmert. Am Tag unseres Maskenballs zum Maifest. Ein kaltes Kribbeln beginnt in meinem Magen und erfasst meinen ganzen Körper.
    Morgen. Maifest. Erster Mai. Die »Geburt« des Mai.
    Nimm dich in Acht vor der Geburt des Mai.
    *
    Mir will nicht warm werden. Was immer Eugenia fürchtete und wovor Miss Wyatt mich warnen wollte, es wird morgen geschehen und ich habe keine Ahnung, was es ist oder wie ich es verhindern könnte. Als ich sehe, wie Miss McChennmine und Mrs Nightwing im Gespräch die Köpfe zusammenstecken, zittere ich. In jedem ihrer Blicke, jedem Lachen, jeder Berührung wittere ich Gefahr.
    Die Mädchen sind vor Aufregung außer Rand und Band, sie springen ausgelassen um mich herum und wissen nichts von meiner Angst. Die Kleinen tollen in ihren Kostümen herum und Brigid schimpft, sie werden ihre hübschen Kleider schmutzig machen und was dann? Sie nicken ernst und kümmern sich keinen Deut darum.
    »Wollen Sie uns nicht Gesellschaft leisten, Schätzchen?«, ruft Brigid, als sie mein düsteres Gesicht sieht.
    Ich schüttle den Kopf. »Nein, danke. Ich bin im Moment keine gute Gesellschaft.«
    Mrs Nightwing sieht mich mit leicht gerunzelter Stirn an und meine Haut juckt. Ich kann hier nicht bleiben. Ich beschließe, mich in Felicitys Zelt zu flüchten. Überrascht stelle ich fest, dass Felicity dort sitzt, allein. Ihre Lippen zittern.
    »Fee?«, sage ich.
    Sie wischt wütend ihre Tränen fort. »Jetzt habe ich es also geschafft«, sagt sie mit einem Lachen, das zu hart ist. »Ich habe sie richtiggehend bezaubert.«
    »Was soll das heißen?«
    Felicity hält einen Brief hoch. »Der ist von Mutter. Lady Markham ist einverstanden, die Patenschaft für mich zu übernehmen – wenn ich ihren Horace heirate.«
    »Das kann sie nicht tun.«
    »Doch, kann sie«, sagt Felicity und wischt noch mehr Tränen von ihren

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