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Kartiks Schicksal

Kartiks Schicksal

Titel: Kartiks Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Libba Bray
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vor Angst erstarrt. Ich versuche die Magie aufzurufen, aber ich bin erschöpft und verängstigt und sie will nicht kommen. Eine Stimme dröhnt in meinem Kopf: Lauf. Lauf, Gemma.
    So schnell ich kann, stürze ich fort von ihm und renne durch ein Labyrinth von Grabsteinen, während der Himmel mit Blitz und Donner auf mich herabstürzt. Aus dem Augenwinkel sehe ich Ithal hinter einem Marmorengel verschwinden und auf der anderen Seite wieder auftauchen. Er gewinnt an Boden. Mein Nachthemd ist durchweicht. Es klatscht schwer gegen meine schon schwachen Beine und hemmt meinen Schritt. Ich zerre wild daran und ziehe den Saum zur Taille hoch, um schneller laufen zu können. Ithal heftet sich beharrlich an meine Fersen. Bis ich den Weiher erreiche, schneidet mir jeder Atemzug wie eine Rasierklinge in die Lungen.
    Endlich sehe ich es: Über den Bäumen erhebt sich die Silhouette von Spence mit seinen reich verzierten, gewundenen Turmspitzen. Irgendetwas ist merkwürdig daran. Ich kann nicht sagen, was. Ich kann nur laufen. Starkes Mondlicht schiebt die Wolken auseinander.
    Das Dach ist leer. Die Wasserspeier sind fort. Sie sind fort und ich habe das Gefühl, die Erde rutscht mir unter meinen Füßen weg. Ithal kommt rasch näher, verkleinert die Lücke zwischen uns und ich stolpere weiter. Ich glaube, es wird mir die Lungen zersprengen.
    Etwas landet hinter mir, so hart wie ein auf die Erde fallender Stein. Die Angst sitzt mir in allen Gliedern. Ich möchte mich umdrehen, um zu sehen, was es ist, aber ich kann nicht. Kann nicht atmen. Kratzgeräusche. Wie Krallen auf Stein. Ein leises Knurren dringt aus der Kehle meines Verfolgers, wer immer das ist. Dreh dich nicht um, Gemma. Es ist nicht wirklich, wenn du dich nicht umdrehst. Schließe deine Augen. Zähle bis zehn. Eins. Zwei. Drei. Der Mond ist voll. Ein Schatten erhebt sich, viel höher als mein eigener auf dem Weg. Und dann entfalten sich die riesigen Flügel.
    Mein Kopf ist so leicht wie ein Luftballon. Ich fürchte, ohnmächtig zu werden. »Röslein … Heiden … jung und … morgenschön …«
    Ein gellender Schrei durchschneidet die Nacht. Der Wasserspeier hebt ab und landet mit einem gewaltigen dumpfen Schlag vor mir auf dem Weg. Jede Hoffnung zu entkommen ist mir abgeschnitten. Beim Anblick des riesigen steinernen Greifs, der sich drohend über mir aufrichtet, sinke ich auf die Knie. Sein Gesicht ist eine abscheuliche Maske, der Schnabel zu einer grausamen Grimasse gekrümmt. Seine Krallen sind erschreckend scharf. Ein Schrei erstirbt in meiner Kehle. Kreischend schlägt das Untier seine Krallen um meine Taille. Schwärze umfängt mich.
    »Festhalten«, befiehlt der Wasserspeier mit harter Stimme und die Angst holt mich wieder ein. Er klemmt mich eng an seinen Körper und wir erheben uns in die Luft. Ich klammere mich an diesen erschreckenden Krallen fest. Es dauert eine Weile, bis mir die Situation klar wird. Der Wasserspeier hat nicht vor, mir ein Leid zuzufügen. Er will mich vielmehr beschützen. Der Himmel wimmelt von geflügelten Biestern. Sie kreischen und knurren. Die Geräusche sind peinigend, aber ich wage nicht loszulassen, um mir die Ohren zuzuhalten. Der Luftstrom, der über mein durchweichtes Nachthemd und meine nasse Haut streift, ist kühl. Ich fröstle, als wir über die Wipfel der Bäume hinwegfliegen und sanft auf dem Dach von Spence landen.
    »Schau nicht hin«, rät mein Beschützer.
    Aber ich kann nicht wegschauen. Unten auf dem Rasen haben die Wasserspeier Ithal gestellt. Sie stoßen auf ihn hinunter, holen ihn vom Boden und fliegen mit ihm in Richtung des Weihers.
    »Was werden sie tun?«, frage ich.
    »Was sie tun müssen.« Der Wasserspeier erklärt es nicht näher und ich wage nicht weiterzufragen.
    »W-wer bist du?«
    »Ich bin ein Wächter der Nacht«, sagt er und ich erinnere mich an Wilhelminas Zeichnung. »Wir haben euch Menschen seit Jahrhunderten beschützt, wenn die Grenze zwischen den Welten nicht versiegelt war. Jetzt ist das Siegel zerbrochen. Aber ich fürchte, wir können dich nicht vor dem bewahren, was begonnen hat.«
    Der Himmel wird von Flügeln verdunkelt. Über mir kreisen die Wasserspeier und tauchen mich in Schatten. Sie schweben herab und landen so federleicht wie Engel auf dem Dach. Ein Wasserspeier mit den Nüstern eines Drachen kommt auf uns zu.
    »Es ist getan«, knurrt er. »Er wurde zu den Toten zurückgebracht.«
    Der Wasserspeier, der mich gerettet hat, nickt. »Das wird nicht das Letzte sein, was wir von

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