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Kartiks Schicksal

Kartiks Schicksal

Titel: Kartiks Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Libba Bray
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ihnen gesehen haben. Sie werden wiederkommen und noch stärker geworden sein.«
    Ein rosa Streifen zeigt sich am östlichen Himmel. Die anderen Wasserspeier nehmen ihre gewohnten Plätze am Rand des Daches ein. Vor meinen Augen werden sie wieder zu Stein.
    »Ich träume«, flüstere ich. »Das alles ist ein Traum.«
    Der Anführer der Wasserspeier breitet seine Flügel aus, bis ich ganz in Dunkelheit gehüllt bin. Seine Stimme ist so abgrundtief wie die Zeit. »Ja, du hast geschlafen. Aber nun heißt es aufwachen.«
    *
    Ich öffne die Augen. Die Decke meines Zimmers nimmt Gestalt an. Ich kann Anns leises Schnarchen hören. Ich liege in meinem Bett, wie es sich gehört. Der Morgen dämmert. Ich setze mich auf und mein Körper schmerzt unter der Anstrengung. Ein Riesenlärm dringt aus dem Wald. Ich springe aus dem Bett und stürze mit den anderen halb angezogenen Mädchen hinaus, um zu sehen, was passiert ist. Im frühen Morgendunst sind die Zigeuner mit ihren Laternen am Ufer des Weihers versammelt. Ein vielstimmiger Schrei erhebt sich.
    Jetzt sehe ich es. Ithal liegt mit dem Gesicht nach unten im Wasser, ertrunken. Deswegen hat Freya beim Teich angehalten, deswegen war sie so aufgeregt. Sie wusste, dass ihr Herr tot war, und das Ding auf ihrem Rücken war ein Untoter, ein höllischer Bote aus der Winterwelt, ausgesandt, um mich zu den Seinen zu bringen.
    Nein. Nein, das ist nicht geschehen. Ich habe mir das alles nur eingebildet. Oder es geträumt. Es ist kein toter Mann gekommen, um mich zu entführen. Ich bin nicht in der Umklammerung eines Wasserspeiers geflogen.
    Zur Bestätigung schaue ich zum Dach der Schule hinüber, auf das die ersten Strahlen der Morgensonne fallen. Die Wasserspeier sitzen dort, stumm und blicklos. Ich drehe meinen Kopf hin und her, aber sie bewegen sich nicht. Natürlich nicht. Ich kichere. Die Umstehenden sehen mich verständnislos an, weil ich lache, während ein Ertrunkener aus dem Teich gezogen wird.
    Kartik ist da, heil und gesund, ihm wurde kein Haar gekrümmt. Er sieht mich besorgt an.
    Die Männer decken Ithal mit einer Jacke zu.
    »Ihr müsst den Scheiterhaufen errichten«, sagt Mutter Elena. »Verbrennt ihn. Verbrennt alles.«

55. Kapitel
    Ein Mensch ist ertrunken. Trotzdem wird in Spence über nichts anderes geredet als darüber, wie ich mich auf dem Ball verhalten habe. Wer soll das verstehen. Beim Frühstück wird hinter meinem Rücken geflüstert; die Mädchen folgen mir mit den Augen wie Geier, die auf Aas warten. Ich setze mich zu einer Gruppe von Mädchen und sie verstummen. Es ist, als sei ich der leibhaftige Tod mit der Sense.
    Ich höre, wie die Mädchen einander zuflüstern: »Frag sie.«
    »Nein, frag du siel«
    Cecily räuspert sich. »Wie fühlst du dich, Gemma?«, fragt sie mit geheucheltem Mitgefühl. »Ich hab gehört, du hattest ein schreckliches Fieber.«
    Ich löffle Porridge in meinen Mund.
    »Ist das wahr?«, drängt Martha.
    »Nein«, sage ich. »Ich wurde von zu viel Magie überwältigt. Und von den Lügen und Geheimnissen, die diesen Ort zusammenhalten wie Stein und Mörtel.«
    Sie reißen vor Entrüstung die Münder auf, um dann in ein verlegenes Gekicher auszubrechen. Felicity und Ann sehen sich vielsagend an. Ich habe keinen Appetit mehr. Ich schiebe den Stuhl zurück und gehe aus dem Speisesaal. Mrs Nightwing hebt den Blick, versucht aber nicht, mich aufzuhalten. Es ist, als wüsste sie, dass ich ein hoffnungsloser Fall bin.
    *
    Am Nachmittag kommen Felicity und Ann, um mich zu besuchen. Ihre Neugier hat gesiegt. Felicity zieht eine Tüte Bonbons aus der Tasche.
    »Hier. Ich hab mir gedacht, die könnten dir guttun.«
    Ich lasse die Bonbons unberührt auf meinem Bett liegen. »Ihr seid letzte Nacht ins Magische Reich gegangen, stimmt’s?«
    Ann reißt die Augen auf. Es ist ein Wunder, dass sie eine so gute Schauspielerin und zugleich eine so miserable Lügnerin ist.
    »Ja«, sagt Felicity und ich bin ihr für ihre Ehrlichkeit dankbar. »Wir haben getanzt und Ann hat gesungen und wir hatten eine so herrliche Zeit, dass es mir nichts ausgemacht hätte, nie mehr hierher zurückzukehren. Es ist dort wie im Paradies.«
    »Du kannst nicht immer im Paradies leben«, sage ich.
    Felicity steckt die Bonbons wieder ein. »Du kannst uns nicht davon abhalten, das Magische Reich zu betreten«, sagt sie und steht auf.
    »Die Dinge haben sich geändert. Circe hat den Dolch«, sage ich und ich erzähle ihnen alles von letzter Nacht, woran ich mich erinnere. »Ich

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