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Kartiks Schicksal

Kartiks Schicksal

Titel: Kartiks Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Libba Bray
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meinem Kopf, bis mir ein neuer Gedanke kommt. »Ein Geburtstag. Die Warnung könnte sich auf ein Geburtsdatum beziehen. Wann war Amars Geburtstag?«
    »Im Juli«, sagt Kartik. »Und deiner ist am einundzwanzigsten Juni.«
    »Nett, dass du es dir gemerkt hast«, sage ich.
    »An dem Tag haben wir uns kennengelernt.«
    »Wann ist dein Geburtstag?«, frage ich und stelle fest, dass ich es nicht weiß, dass ich nie danach gefragt habe.
    »Am zehnten November«, sagt er.
    »Damit scheidest du wohl aus«, sage ich und reibe meine Schläfen.
    Ich merke an den Bootsgeräuschen, dass wir uns den Docks nähern. Etwas an diesem Ort kommt mir bekannt vor. Es war mir schon aufgefallen, als Kartik und ich hergekommen sind, um Toby zu treffen.
    »›Den Kai der Sorgen überspült‹«, zitiere ich eine Zeile aus dem Gedicht von Yeats, das ich in Wilhelminas Buch gefunden habe. Die Illustration auf der gegenüberliegenden Seite: das Bild von den Booten, an der Wand des Zimmers. Was, wenn es kein Bild, sondern ein Fenster war?
    »Fowlson!«, rufe ich. »Halten Sie die Kutsche an!«
    »Ich denk nicht dran. Nicht hier«, ruft er zurück.
    »Warum nicht?«
    »’s ist das schlimmste Viertel weit und breit. Im Golden wimmelt’s nur so von Dirnen, Verbrechern, Mördern, Rauschgiftsüchtigen und solchem Gesindel. Ich muss es wissen. Ich komme von da.«
    Mein Magen flattert. »Wie haben Sie es genannt?«
    Fowlson belehrt mich so eindringlich, als spreche er zu einem einfältigen Kind. »Das Golden End. Und Sie sind verrückt, wenn Sie glauben, dass ich mit dieser feinen Kutsche hier anhalte.«

62. Kapitel
    »Das stinkt mir«, murmelt Fowlson und stellt seinen Kragen auf, damit die klebrige Feuchtigkeit nicht hineinkriecht. Er hält sein Taschenmesser vor sich wie einen Talisman, während wir uns in der Dunkelheit unseren Weg über die glatten Pflastersteine des Kais bahnen. Ein übler Geruch weht vom Fluss her.
    »Sie sind sicher, dass dieser Ort das Golden End genannt wird?«, frage ich kopfschüttelnd. Die Häuser – wenn man sie überhaupt so nennen kann – sind schmalbrüstig und so krumm wie die Zähne einer armen Frau.
    »So haben wir’s immer genannt. Wegen der Umschlaggebühr, die bei den Docks zu bezahlen ist. Und wegen der Schmuggelware, versteht sich. Da haben sich manche schon eine goldene Nase verdient.«
    »Ja, danke für die Belehrung, Fowlson«, murmelt Kartik.
    »Was soll das heißen?«, knurrt Fowlson.
    Ich trenne die Streithähne. »Meine Herren, wir wollen jetzt kühlen Kopf bewahren. Sie werden später noch genug Zeit haben, Ihr Gefieder zu putzen. Hoffentlich.«
    Wir folgen den dunklen, gewundenen Straßen. Wie von Fowlson prophezeit, treiben sich hier allerlei finstere Gestalten herum und ich möchte lieber nicht zu genau hinsehen.
    »Das Zollamt ist nicht sehr weit«, sagt Fowlson.
    »Brigid hat gesagt, als Wilhelmina nach London gekommen ist, hat man sie nach einer Woche beim Zollamt aufgelesen. Was, wenn ihr dieser Ort vertraut gewesen ist? Wenn sie sich hier sicher gefühlt hat, so seltsam es auch sein mag?«
    Wir biegen um eine Ecke und um noch eine, bis wir zu einigen heruntergekommenen Gebäuden gelangen, die auf die alten Docks blicken. Ich höre die Schiffe, die einander Signale geben; von hier bietet sich eine gute Aussicht auf die Boote.
    »Da ist es«, sage ich. »Ich erkenne es aus meinen Visionen wieder. Komm schon, Wilhelmina«, flüstere ich. »Lass mich jetzt nicht im Stich.«
    Und plötzlich sehe ich sie vor mir in ihrem lavendelfarbenen Kleid.
    »Seht ihr sie?«, frage ich leise.
    »Wen?«, fragt Fowlson und zückt sein Messer.
    »Nein«, sagt Kartik. »Aber du siehst sie. Wir folgen dir.«
    Wilhelmina tritt durch die Wand einer elenden Bruchbude.
    »Hier hinein«, sage ich.
    Fowlson weicht zurück. »Sie ticken wohl nicht richtig!«
    »Vielleicht bin ich ja wirklich verrückt, Mr Fowlson«, antworte ich. »Aber das weiß ich erst, wenn ich drinnen war. Sie können mitkommen oder es bleiben lassen.«
    Kartik tritt gegen die morsche Tür und ich setze als Erste den Fuß in das halb verfallene, verlassene Gebäude. Es ist dunkel und riecht nach Moder und Salzwasser. Ratten kratzen in den Ecken; das Geräusch ihrer emsigen Pfoten jagt mir einen Schauer über den Rücken. Kartik ist neben mir, auch er mit gezücktem Messer.
    »Zur Hölle«, murmelt Fowlson, aber ich spüre seine Angst.
    Wir klettern eine morsche Treppe hinauf. Oben liegt ein bewusstloser Mann, mehr tot als lebendig. Er riecht nach

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