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Kartiks Schicksal

Kartiks Schicksal

Titel: Kartiks Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Libba Bray
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säuselt der Baum. Ein behütetes kleines Leben? Nichts Außergewöhnliches mehr? Überhaupt gar nichts mehr?
    »Ich werde anders sein«, sage ich.
    Das sagen sie alle. Der Baum lacht bitter. Und dann wird ihre Magie weniger und weniger. Sie werden erwachsen, passen sich an. Ihre Träume verblassen wie ihre Schönheit. Sie verändern sich. Und wenn sie schließlich wissen, was sie aufgegeben haben, ist es zu spät. Sie können nicht mehr zurück. Wird das dein Schicksal sein?
    »N-nein«, sage ich und kehre dem Dolch in den Wurzeln den Rücken.
    »Gemma!« Kartik ruft nach mir. Aber ich kann meine Augen nicht von dem Baum losreißen, kann nicht aufhören, ihm zu lauschen.
    Bleibe bei mir, raunt er. Für immer. Jung. Schön. Blühend. Sie werden dich anbeten.
    »Gemma!« Felicitys Stimme.
    Bleibe bei mir …
    »Ja«, sage ich und strecke meine Hand voll Verlangen nach dem Baum aus, denn er versteht mich. Ich presse meine Handfläche an die Rinde und plötzlich verschwindet alles. Nur der Baum und ich sind geblieben. Ich sehe Eugenia Spence davorstehen, königlich und von ruhiger Sicherheit. Ich suche meine Freunde, aber sie sind fort.
    »Übergeben Sie sich mir, Gemma, und Sie werden nie mehr allein sein. Sie werden angebetet werden. Bewundert. Geliebt. Aber Sie müssen sich mir schenken – als ein williges Opfer.«
    Tränen rollen über mein Gesicht. »Ja«, murmle ich.
    »Gemma, hören Sie nicht zu«, sagt Circe heiser und für einen Moment sehe ich Eugenia nicht mehr; ich sehe nur den Baum, das Blut, das unter seiner Rinde fließt, die Körper der Toten, die wie Schimären an ihm herabhängen.
    Ich ringe nach Atem und Eugenia ist wieder hier vor mir. »Ja, das ist es, was Sie möchten, Gemma. Wie sehr Sie es auch versuchen, Sie können diesen Teil Ihrer selbst nicht töten. Die Einsamkeit, die dicht unter der Treppe Ihrer Seele hockt. Immer da, wie sehr Sie sich auch bemüht haben, sie loszuwerden. Ich verstehe das. Oh ja. Bleiben Sie bei mir und Sie werden nie wieder allein sein.«
    »Hör nicht … auf dieses … Weib«, krächzt Circe und die Ranken ziehen sich um ihren Hals zusammen.
    »Nein, Sie irren sich«, sage ich zu Eugenia, als erwache ich aus einem langen Schlaf. »Sie konnten diesen Teil Ihrer selbst nicht töten. Und Sie konnten es auch nicht akzeptieren.«
    »Ich fürchte, ich weiß nicht, was Sie meinen.« Sie klingt zum ersten Mal unsicher.
    »Deshalb ist es den dunklen Geistern der Winterwelt gelungen, Sie in ihre Fänge zu bekommen. Sie haben Ihren wunden Punkt entdeckt.«
    »Und was sollte das gewesen sein?«
    »Ihr Stolz. Sie konnten nicht glauben, dass Sie vielleicht die gleichen Eigenschaften besitzen wie die dunklen Geister selbst.«
    »Ich bin nicht wie sie. Ich bin ihre Hoffnung. Ich erhalte diese aufrecht.«
    »Nein. Das reden Sie sich selbst ein. Deswegen hat mir Circe geraten, meine finsteren Winkel zu erforschen. Damit ich den dunklen Geistern nicht auf die gleiche Weise in die Hände falle.«
    Circe lacht, ein gackerndes Lachen, das mir unter die Haut kriecht.
    »Und was ist mit Ihnen, Gemma?«, schnurrt Eugenia. »Haben Sie sich erforscht, wie Sie sagen?«
    »Ich habe Dinge getan, auf die ich nicht stolz bin. Ich habe Fehler gemacht«, sage ich. Meine Stimme festigt sich und meine Finger beginnen wieder nach dem Dolch zu suchen. »Aber ich habe auch Gutes getan.«
    »Und trotzdem sind Sie noch immer allein. All die Bemühungen und immer noch stehen Sie außerhalb. Haben Angst vor dem, was Sie wirklich wollen, denn was ist, wenn es schließlich doch nicht genügt? Wenn Sie es bekommen und sich noch immer allein und ausgestoßen fühlen? Arme Gemma. Sie passt einfach nirgends dazu, stimmt’s? Arme Gemma – mutterseelenallein.«
    Es ist, als hätte sie mich mitten ins Herz getroffen. Meine Hand zögert. »Ich … ich …«
    »Gemma, Sie sind nicht allein«, stößt Circe hervor und meine Hand berührt Metall.
    »Nein, das bin ich nicht. Ich bin wie alle anderen auf dieser dummen, verdammten, erstaunlichen Welt. Ich habe Fehler. Jede Menge. Aber ich bin zuversichtlich. Ich bin noch immer ich selbst.« Jetzt hab ich’s. Sicher und fest im Griff. »Ich sehe durch Sie hindurch. Ich sehe die Wahrheit.«
    Ich springe auf und plötzlich ist die Illusion, die Eugenia erzeugt hat, zerbrochen. Ich sehe das Schlachtfeld überzogen mit Blut und wütendem Gemetzel. Höre das Klirren von Eisen gegen Eisen, das Geschrei der Rache, der Angst, der Gier nach Herrschaft und Macht, die Schreie der

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