Kartiks Schicksal
Ausnahme, Vaters Worte für bare Münze genommen haben. Nein, was mich am meisten beunruhigt, ist, wie sehr ich es selbst glauben möchte.
*
Die Droschken fahren vor und signalisieren das Ende unseres Abends. Wir versammeln uns vor dem Klub. Vater, Tom und Dr. Hamilton sind ins Gespräch vertieft. Großmama ist von einem Rundgang durch den Klub mit einigen der Ehefrauen noch nicht zurückgekehrt. Ich mache einen Abstecher zum Garten, als ich plötzlich ins schattige Dunkel gezerrt werde.
»Schöner Abend, hä?«
Der Hut des Wegelagerers sitzt tief in seiner Stirn, aber ich erkenne seine Stimme ebenso wie die zornige rote Narbe, die sich über seine eine Gesichtshälfte zieht. Mr Fowlson, der getreue Wachhund der Rakschana.
»Schreien Sie nicht«, sagt er und nimmt meinen Arm. »Ich hab nur ein Wort mit Ihnen zu reden, im Namen meiner Dienstherren.«
»Was wollen Sie?«
»Na, was wohl, hä?« Sein Lächeln erstarrt zu einer finsteren Fratze. »Die Magie. Wir wissen, dass Sie sie an sich gebunden haben. Wir wollen sie haben.«
»Ich habe sie dem Orden gegeben. Der Orden ist jetzt im Besitz der Magie.«
»Und das soll ich Ihnen glauben, hä?« Sein Atem riecht nach Bier und Fisch.
»Wie wollen Sie wissen, dass ich Ihnen nicht die Wahrheit sage?«
»Ich weiß mehr, als Sie glauben, Süße«, flüstert er.
Der Stahl seines Messers schimmert in der kalten Nacht. Ich schaue zu meinem Vater hinüber, der sich vergnügt mit Dr. Hamilton unterhält. Er ist fast wieder der Vater, den ich vermisst habe. Ich werde nichts tun, um diesen zerbrechlichen Frieden aufs Spiel zu setzen.
»Was wollen Sie von mir?«
»Wie ich schon sagte. Wir wollen die Magie.«
»Und wie ich schon sagte. Ich habe sie nicht.«
Fowlson reibt die flache Klinge seines Messers an meinem Arm, was mir ein gefährliches Kribbeln über die Haut laufen lässt.
»Überlegen Sie sich gut, was Sie tun. Sie sind nicht die Einzige, die Spielchen spielen kann.« Er wirft einen Blick zu Vater und Tom. »Schön, Ihren Vater hier zu sehen. Und Ihren Bruder. Ich höre, er möchte sich um jeden Preis einen Namen machen. Guter alter Tom.« Fowlson schnipselt mit seiner Messerspitze einen Knopf von meinem Handschuh. »Vielleicht sollte ich mit ihm einen kleinen Plausch darüber halten, was seine Schwester treibt, wenn er nicht aufpasst. Ein Wort in sein Ohr und er könnte Sie nach Bedlam verfrachten.«
»Das würde er nicht tun.«
»Sind Sie sicher?« Fowlson schnipselt noch einen Knopf von meinem Handschuh. Der Knopf schlittert über die Pflastersteine. »Ich hab Mädchen gesehen, die haben sich ihre Krankheit nicht mit dem Holzhammer austreiben lassen. Wie würde es Ihnen gefallen, Ihr Leben in einem Zimmer dort zu verbringen und die Welt durch ein kleines Fenster zu betrachten?«
Die Magie regt sich in mir und ich wende all meine Kraft auf, um sie zurückzudrängen. Fowlson darf nicht wissen, dass ich sie habe.
»Geben Sie mir die Magie. Ich sorge dafür, dass sie in die richtigen Hände kommt.«
»Sie meinen, Sie würden sie für sich behalten.«
»Wie geht’s unserem Freund Kartik?«
»Darüber sollten Sie besser Bescheid wissen als ich, denn ich habe ihn überhaupt nicht gesehen«, lüge ich. »Er hat sich als genauso niederträchtig erwiesen wie Sie alle.«
»Guter alter Kartik. Wenn Sie ihn das nächste Mal sehen – falls Sie ihn sehen –, sagen Sie ihm, Fowlson hat nach ihm gefragt.«
Kartik hat gesagt, die Rakschana seien der Meinung, er sei tot. Aber wenn Fowlson glaubt, dass er lebt, dann ist Kartik in Gefahr.
Plötzlich steckt Fowlson sein Messer in die Scheide. »Ihre Droschke scheint da zu sein, Miss. Wir sehen uns wieder. Darauf können Sie sich verlassen.«
Er gibt mir einen kleinen Schubs. Tom, der von alldem nichts bemerkt hat, winkt mir. »Komm, Gemma.«
Der Diener hängt die Treppe ein.
»Ja, ich komme schon«, antworte ich. Als ich mich umdrehe, ist Fowlson fort, in der Nacht verschwunden, als sei er nie da gewesen.
25. Kapitel
Als ich aufwache, steht Großmama lächelnd an meinem Bett. »Marsch aus den Federn, Gemmai Wir gehen heute einkaufen!«
Ich reibe mir die Augen, denn ich glaube zu träumen. Aber nein, sie steht immer noch da. Und lächelt.
»Wir gehen zu Castle und Söhne, um ein Kleid anfertigen zu lassen. Und dann machen wir einen Abstecher in Mrs Dollings Konditorei.«
Meine Großmutter lädt mich zu einem Ausflug ein. Fantastisch! Mr Fowlsons Drohung scheint mir jetzt nicht gegenständlicher zu sein als
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