Kasey Michaels
vor sich so unvermittelt Rafe, dass sie einen Moment ihren Augen nicht
traute und zu träumen glaubte. Doch er war es.
Mit
unbedecktem Kopf, das Haar triefend nass am Schädel klebend, nur in ledernen
Reithosen und Reitjackett, kämpfte er sich auf sie zu. Halb rennend, halb vom
Wind vorwärtsgetrieben, taumelte er ihr entgegen und fing sie, die ihm
schluchzend an die Brust sank, in seinen Armen auf.
„Gott sei
Dank!“, schrie er gegen den Sturm an, beugte sich nieder und drückte Küsse
auf ihr Haar und ihre Stirn. „Gott sei Dank!“ Dann schob er sie ein wenig
von sich und fragte ängstlich: „Du bist unverletzt? Kannst du laufen?“
Obwohl sie
sich so nahe waren, konnte sie nur ahnen, was er sagte, nickte aber und
schaute, krampfartig zitternd, zu ihm auf, zu ihrem Retter.
Als er sie
mitten auf den Mund küsste, klammerte sie sich fest an ihn, vergaß ihre Angst
und sog Kraft aus seiner Nähe. Solch Intimität hätte sie normalerweise
gefürchtet, doch der Sturm ließ sie vorübergehend diesen speziellen Albtraum
vergessen.
„Herrgott!“
Rafe schlang einen Arm um sie und hielt sie dicht an seine Seite gepresst, um
sie vor dem Sturm zu schützen.
Als ob die
Natur glaubte, noch nicht genug getan zu haben, bebte der Boden plötzlich
unter einem niederfahrenden Blitz, der nicht weit entfernt in einen Baum
einschlug und ihn in der Mitte spaltete.
Von dem
grellen Licht geblendet, konnte Charlotte nichts Genaues erkennen, roch jedoch
verbranntes Holz. „Rafe“, stammelte
sie, „was ist das? Geht die Welt unter?“
„Lass den
Mund lieber zu“, brüllte er ihr ins Ohr, „sonst ertrinkst du noch!“
Und dann, dann grinste er sie an. „Kopf hoch, Charlie! Das ist der falsche
Moment, um zimperlich zu sein!“
Woraufhin
sie wahrhaftig zu weinen begann. Wirklich wie ein Mädchen!
Ihr Gesicht
an seiner Schulter bergend, konzentrierte sie sich ganz darauf, einen Fuß vor
den anderen zu setzen. Inzwischen hatte sie schon einen Schuh verloren, nun
blieb auch der andere noch im Schlamm stecken, doch sie merkte es kaum, denn
hier endete der Waldpfad, und sie waren jäh der Gewalt des Unwetters schutzlos
ausgesetzt. Wind und Regen tobten noch heftiger, und selbst Rafe taumelte kurz,
ehe er sich wieder fangen konnte und Charlotte noch fester mit dem Arm umfing,
während sie hügelan Rose Cottage entgegenstolperten.
„Gott im
Himmel!“ Rafe blieb stehen und drückte sie noch enger an sich. Mühsam hob
Charlotte den Kopf und schaute zu ihrem Zuhause hinüber.
An den
Giebelseiten des Hauses ragten jeweils zwei aus Ziegeln gemauerte Kamine gut
drei Meter über dem Dach empor. Zumindest war es am Morgen noch so gewesen. Nun
war einer der Schornsteine vom Sturm zerstört worden, hatte einen Teil des
Strohdaches mit sich gerissen und war auf das Glasdach des Gewächshauses
gestürzt. Von dem nicht mehr viel vorhanden war. Vermutlich war nicht eine
Scheibe mehr umerbrochen, und von dem Bauwerk stand nur noch das Gerüst, ein
ineinander verkeilter Haufen verbogenes, gesplittertes Holzwerk.
„Mama!
“, keuchte Charlotte auf und wollte sich von Rafe lösen, doch er hielt sie
fest und steuerte mit ihr die Hausfront an, wo er sie die schlüpfrigen Stufen
hinaufdrängte. Dann drückte er sie unter den tiefen Mauerbogen des Eingangs und
schob sie in einen einigermaßen vorm Wind geschützten Winkel, während er schon
den Messingklopfer packte und wild gegen die Tür hämmerte.
Doch nichts
geschah. Vermutlich hatten die Dienstboten im Kellergewölbe Schutz gesucht, und
das Klopfen wurde vom Sturm übertönt.
„Bleib, wo
du bist“, befahl Rafe, und Charlotte, zu erschöpft, um zu protestieren,
sank an der Mauer nieder, wo sie, dankbar für die Verschnaufpause, hocken
blieb. Sie hätte ewig da sitzen können! Wollte sie überhaupt wissen, was
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