Kasey Michaels
Mädel konnte ja noch nie ein Wort korrekt schreiben, das
mehr als vier Buchstaben hat.“
Und da
hatte Charlotte gedacht, dass Rafe, so unregelmäßig er auch mit seinen Cousins
gemeinsam Unterricht genossen hatte, was seine sprachlichen Talente anging,
ein Könner war.
„Dafür
werden sie zahlen!“, keuchte sie und schob eine verirrte kastanienbraune
Locke zurück unter ihre Kapuze, wobei sie einen Schmutzfleck auf ihrer sonst
makellosen Haut hinterließ.
Die arme
Emmaline, frisch und glücklich verheiratet, genoss ihre verlängerten
Flitterwochen im Lake District in der tröstlichen Gewissheit, dass Rafe,
nachdem er von der glückhaften Änderung seiner Umstände erfahren hatte,
umgehend heimgekehrt war.
Währenddessen
ging der arme Rafe auf Elba ganz beruhigt seinen Offizierspflichten nach, da
er annahm, auf Ashurst Hall liege alles, auch die Aufsicht über seine jüngeren
Schwestern, in Emmalines fähigen Händen.
„Und ich,
von zwei grässlichen Gören übertölpelt, die nicht mal aus dem Schulzimmer
entlassen sind – nur, mit ihrem elenden Trick sind sie dem natürlich entkommen!
“, murmelte Charlotte und raffte ihre Röcke, um ihre Schritte weiter zu
beschleunigen. „Ich bemitleide die Gören, weil sie ihren Bruder so sehr
vermissen ... scherze mit ihnen über Emmalines Verliebtheit. Und die stromern
all die Monate unbewacht herum, ohne ihre Gouvernante, weil ihr Bruder schrieb,
er wäre entzückt – nein, entsügt – ihnen mehr Freiheit gönnen zu
dürfen. Ihr Bruder schrieb? Ha! Ich erwürge sie, ich schwör's!“
Ganz mit
wilden Rachegedanken beschäftigt, stürmte sie von dem schmalen Waldpfad auf die
kiesbestreute Auffahrt, die sich durch den wohlgepflegten Park zum Herrensitz
hinaufwand. Wie aus dem Nichts raste plötzlich ein Reiter in wildem Galopp auf
sie zu.
Abrupt fuhr
Charlotte zurück und stieß erschreckt einen Schrei aus.
Das Pferd,
entweder von Charlottes jähem Erscheinen gleichfalls erschreckt, oder weil sein
Reiter zu heftig an den Zügeln gezerrt hatte, wieherte schrill und stieg mit
den Vorderläufen steil auf, sodass der unglückliche Mann, ehe er sich's
versah, aus dem Sattel rücklings auf den harten Kies geschleudert wurde.
Da
Charlotte kein Hasenherz war, fing sie sich schnell und griff nach dem Zügel
des Tieres und hielt es fest, da sie glaubte, es werde Reißaus nehmen. Doch
das Ross zeigte keine weitere Neigung zu Schreckhaftigkeit, sodass Charlotte
sich nun dem Gestürzten zuwandte. Sie hoffte allerdings, dass er ohne Hilfe
wieder auf die Beine kommen werde – sofern er sich nicht auf dem harten Boden
den Schädel eingeschlagen hatte.
„Sind Sie
noch heil, Sir?“, fragte sie vorsichtig, sich zu ihm beugend. Sie konnte
sein Gesicht nicht sehen, denn die Schultercapes seines höchst eleganten
Mantels hatten sich um seinen Kopf gewickelt. „Es tut mir ganz schrecklich
leid, und Ihr Missgeschick ist ganz allein meine Schuld, doch ich finde, es
wäre äußerst edel von Ihnen, vorzugeben, dass Sie sich dessen nicht bewusst
sind.“
Was der
Mann murmelte, war unverständlich, was auch nicht wundern musste, da er von
seinem stoffreichen modischen Kleidungsstück beinahe erstickt wurde. Jedoch
glaubte Charlotte dem Tonfall zu entnehmen, dass er nicht ganz so
mildverzeihend war, wie sie gehofft hatte.
„Verzeihung,
wie bitte? Wenn Sie vielleicht den Verschluss Ihres Mantels lösten, könnten Sie
sich leichter aus seinen Schlingen befreien.“ In dem Gefühl, dass die
Bemerkung alles nur noch schlimmer machte, fragte sie hastig. „Soll ich ... äh
... soll ich Hilfe holen?“
„Herrgott,
nein!“, sagte der Gentleman, während er sich aus seinen vielen
Schultercapes hervorkämpfte. „Es ist so
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