Kasey Michaels
schon peinlich genug, vielen Dank, da
brauche ich nicht noch Publikum!“ Endlich war er auf die Füße gekommen und
hatte sich aus den Stofflagen befreit. „Wo ist mein verdammter Hut?“
„Hier, ich
habe ihn“, sagte Charlotte und hielt ihn ihm hin. „Er hat nur eine kleine
Delle, und wenn erst der Schmutz abgebürstet ist, ist er bestimmt so gut wie
neu.“
Immer noch
hatte der Gentleman ihr keinen Blick gegönnt, sondern widmete sich dem Ordnen seiner
Schultercapes.Vier Stück zählte Charlotte beeindruckt. Mehr würden ihn zum Dandy
stempeln, weniger ihn als Modemuffel erscheinen lassen. Um den Kopf gewickelt
erwies sich dieser modische Zierrat allerdings eher als lästig.
„Als
Nächstes, Madam, werden Sie vermutlich vorschlagen, dass mir dieses Wissen
einen Freudensturm entlocken sollte. Wenn das kein Glück ist! Der Mantel hat
nur ein – nein, zwei – Risse abbekommen, und mein neuer Hut ist kaum merklich
beschädigt. Ich muss mich glücklich schätzen! Sollte ich Ihnen nicht gar
danken?“
„Sie müssen
nicht unhöflich werden, Sir!“, erklärte Charlotte, die recht gut wusste,
dass er guten Grund dazu hatte. Immerhin war sie verantwortlich dafür, dass
sein Pferd gescheut hatte und seine feine Kleidung ruiniert wurde, die ihm
sichtlich am Herzen lag. Sie ließ wohl besser unerwähnt, dass sein heftiger Zug
an den Zügeln zu seinem Sturz beigetragen haben könnte, da sein Ross an sich
einrecht stoisches Tier zu sein schien. „Als ob ich Sie absichtlich aus dem Sattel
gehoben hätte! Es war ein dummer Zufall.“
„Ah, ja,
natürlich. Sie stürzten hinter den Bäumen hervor auf den Fahrweg, Madam! Gleich
behaupten Sie wohl noch, es sei allein meine Schuld, weil ich zu just diesem
Moment dort zu sein wagte.“
„Seien Sie
nicht albern“, entgegnete Charlotte scharf und ein wenig ungeduldig. „Das
war Ihr gutes Recht.“ Sie stutzte. „Und warum sind Sie überhaupt
hier?“
Mit raschem
Griff nahm der Mann ihr den Hut aus der Hand und stülpe ihn sich mit einer
heftigen Bewegung auf, zuckte aber sofort zusammen. Mit einem knappen Fluch
riss er ihn wieder vom Kopf und ließ ihn achtlos fallen.
Hatte er
sich verletzt? Charlotte hob sich auf die Fußspitzen. Lieber Gott, war der
Mann groß! Beeindruckend groß. „Was haben Sie? Was ist mit Ihrem Kopf? Ich kann
nichts sehen?“ Aber wie auch? Vor ihm kam sie sich klein vor. Dabei war
sie nicht gerade winzig, und kaum ein Mann ihrer Bekanntschaft überragte sie
um mehr als Haupteslänge.
„Verdammt!“
Er betastete seinen Hinterkopf und musterte dann seine Fingerspitzen. Blut!
„Sechs Jahre Krieg unverletzt überstanden,
um hier kaum eine Meile von Daheim ein Loch in den Kopf zu bekommen. Noch dazu
durch eine Frau.“
Daheim. Er
hatte daheim gesagt. Daheim. Charlotte riss die Augen so weit auf, dass
sie ihr beinahe aus dem Kopf gefallen.
wären.
Während er
ein Taschentuch aus seinem Mantel fischte, um es auf die Wunde zu drücken,
musterte Charlotte ihn. Rafael Daughtry, den sie an dem Tag zum letzten Mal in
Fleisch und Blut gesehen hatte, als er in den Krieg zog, und dann in den
folgenden Jahren nur noch in ihren keuschen Mädchenträumen.
Er sah
völlig anders aus, als sie ihn in Erinnerung hatte. Dieser Mann schien von
Statur doppelt so groß zu sein wie der Rafe von einst, was aber möglicherweise
daher rührte, dass er gegenüber dem schlaksigen Jüngling, den sie gekannt
hatte, nicht nur an Größe, sondern auch an Gewicht zugelegt hatte. Und wie
breit und gewinnend er damals lächeln konnte! So sehr, dass ihr jedes Mal die
Knie weich wurden. Aber sein Haar? Ja, doch, immer noch kohlschwarz wie früher,
nur dass er es länger trug. Seine Züge waren schärfer geworden, reifer, und er
war gebräunt, wie man es nur wurde, wenn man ständig den Elementen
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