Kasey Michaels
heben.
Als sie an
der Treppe anlangten, hielt sie Tanner zurück. „Hören Sie, ich werde Jasmine
und Mrs Sandy suchen. Sie gehen besser außen herum zum Wagen, und wir treffen
uns dort. Im Saal wird sowieso schon genug geredet, ohne dass man Sie so
sieht.“
„Ja, das
stimmt wohl. Ich werde auch sehen, dass ich einen Bediensteten finde, der
Molton draußen aufsammelt. Lydia?“
Ihren
Rocksaum raffend, um nicht zu stolpern, hatte sie schon die Hälfte der Stufen
erklommen. Sie wandte sich halb zu ihm um, in Gedanken anderswo – dort, wo sie
allein wäre, sich setzen, sich gründlich ausweinen könnte. „Hmm?“, machte
sie fragend.
„Sie sind
sehr tapfer.“
„Nein,
Tanner“, widersprach sie. „Und wenn ich ehrlich bin: Ich mache mir auch
nichts aus Abenteuern, nicht einmal ein ganz klein wenig.“
Er lachte,
zuckte jedoch zusammen, da die Wunde schmerzte. „Ich will versuchen, mich beim
nächsten Mal daran zu erinnern, wenn in Ihrer Gegenwart jemand mit einer
Peitsche auf mich losgeht. Manchmal, Lydia, hat ein Mann keine Wahl.“
„Wahrscheinlich.
Aber nun, da ich kurz darüber nachdenken konnte, glaube ich fast, dass Sie
diesen Molton nicht ungern geboxt haben. Vielleicht haben Sie ihm den Rücken
zugedreht, um ihn unbewusst zu Gewalttätigkeit zu reizen?“
Mit einem
Achselzucken entgegnete er: „Möglicherweise.“
Sie sah ihm
einen Moment fest in die Augen und fand eine Seite an ihm, die sie sich bisher
nicht bewusst gemacht hatte. Sie sah einen Mann, der im Krieg gewesen war.
Einen Mann von Ehre, ja, doch sehr, sehr männlich. Und was war gefährlicher als
ein Mann von Ehre?
Sie wandte
sich ab und eilte die Treppe hinauf.
6. Kapitel
anner saß in seinem Arbeitszimmer, diverse
samtumhüllte Schachteln vor sich auf dem Schreibtisch verteilt. Sie waren alle
da, alle Schmuckstücke, die er mit nach London gebracht hatte, einschließlich
des Smaragdcolliers, das Jasmine gestern Abend getragen und ihm, wie stets,
ausgehändigt hatte, kaum dass sie in der Kutsche saßen.
Sie pflegte
zu sagen, dass der Malvern-Schmuck sie beunruhige, und schien stets glücklich,
die Stücke wieder loszuwerden, so sehr sie ihm dafür dankte, dass sie sie
tragen durfte.
Ihr
einziger eigener Schmuck war das Perlenhalsband ihrer verstorbenen Mutter,
hatte sie ihm erzählt, weshalb er es nur für billig hielt, ihr hier und da ein
minder wertvolles Stück des Malvern-Geschmeides zu borgen.
Nun fragte
er sich, ob sie ihn mit ihrer Bemerkung bewusst manipuliert hatte.
Wie auch
immer, der Schmuck war nun hier, in London, und die Smaragde hatte Justin auf
dem Ball gesehen und sie als Imitationen bezeichnet.
Tanner
betrachtete den Siegelring an seinem Finger, der stets von Vater zu Sohn
weitergegeben worden war. Er zog ihn ab und drehte ihn zwischen den Fingern. Es
war ein schwerer silberner Ring mit einem großen Mondstein in gehämmerter
Fassung, der angeblich ein kleines Vermögen wert sein sollte. Nun fragte Tanner
sich, ob es noch der echte Stein war.
Er stemmte
die Ellenbogen auf den Tisch und stützte sein Kinn auf die gefalteten Hände,
doch durch die Bewegung spannte sich das weiße Mullpolster auf seiner Wange,
also richtete er sich wieder auf und betastete vorsichtig die verhüllte Wunde.
Die Verletzung hatte ziemlich geblutet, war aber nicht tief, da Molton mit der
Peitsche ebenso schlecht umgehen, wie er Alkohol vertragen konnte. Nur die
äußerste Spitze der Peitschenschnur hatte ihn getroffen, ansonsten hatte sein
Rücken den Hieb abgeblockt. Wenn ihn also demnächst eine Narbe zierte, so war
das nur ein kleiner Preis für seine Arroganz und, wie Lydia so prägnant gesagt
hatte, seine Dummheit.
Bei der
Erinnerung an Lydias zivilisierte Empörung, die beinahe sofort zu
Weitere Kostenlose Bücher