Kasey Michaels
Schwägerin fest und steuerte einen Stuhl mit gerader Lehne und fester
Polsterung an, da die bequemeren, wie sie scherzhaft behauptete, immer darauf
aus seien, sie für ewig in ihren Tiefen zu begraben. „Ich hörte, dass du
gestern schon ziemlich früh wieder daheim warst. War der Ball enttäuschend?“
Lydia stand
auf und drückte die Briefbögen an ihre Brust. Hier klammere ich mich an Lügen,
während ich dabei bin, weitere Lügen zu erzählen, dachte sie irritiert. „Nein,
gar nicht, Tanners Cousine ist eine reizende Person ...“, sie unterdrückte
ein Lächeln, als sie Charlottes erhobene Brauen sah, „... und wir wurden
beide mehrfach zum Tanz gebeten. Und ... äh ... und dieses Eis von Gunther war
wirklich köstlich bei der Wärme im Saal.“
„Ja, bei
diesen Bällen herrscht oft ein schreckliches Gedränge. Aber man kann ja immer
noch im Garten frische Luft schöpfen.“
Lydia
wandte sich um und legte den Brief auf dem Sekretär ab. „Da hast du natürlich
recht“, entgegnete sie schwach. Was war sie doch für eine schlechte
Lügnerin und vermutlich durchschaubar wie Glas. Sie hätte üben sollen, so wie
Nicole.
„Selbstverständlich“,
fuhr Charlotte munter fort, „kann selbst bei einer so zivilisierten
Veranstaltung wie einem Ball mitten in Mayfair etwas Unerwartetes
geschehen.“
Lydia
wirbelte herum. „Du weißt es. Wie ... woher...?“
„Ah, eine
Zigeunerin hat mich gelehrt, im Kaffeesatz zu lesen. Nein, aber Rafe bekam
heute Morgen von Tanner eine Botschaft, in der er es erwähnte. Und Rafe weiß,
wie fruchtlos es ist, so etwas seinem liebenden Weib vorenthalten zu wollen.
Eine unglückliche Geschichte, und es tut mir leid, dass du Zeuge solch
unerfreulichen Geschehens sein musstest. Aber es ist ja vorbei. Und Rafe und
ich sind uns einig, dass es am besten wäre, wenn der Baron eine Weile nicht in
London gesehen wird. Bestimmt werdet ihr euch auf Malvern Hall alle wunderbar
amüsieren.“
„Wie bitte?
Was war das? Ich reise nach Malvern?“
Charlotte
nickte und blinzelte schalkhaft. „Rafe hat schon seine Einwilligung gegeben,
ja. Es wird nur eine kleine Gesellschaft, du und der Baron, Miss Harburton und
Tannen“
„Ich und
... du meinst, der Baron und ich?“
„Er ist
wirklich ziemlich amüsant, sagt Rafe, nicht zu erwähnen, fabelhaft reich und
sündhaft gut aussehend. Und er ist durchaus akzeptabel, wenn auch gerade vom ton nicht gern gesehen, aber das wird letztendlich vorbeigehen, wie uns die
Geschichte immer wieder zeigt. Oh, du meine Güte, sag nicht, dass du eine
Abneigung gegen ihn gefasst hast!“
Hatte
Charlotte etwa getrunken? Nein, wohl kaum. Aber sie wirkte ein wenig
beschwipst, und das sah ihr überhaupt nicht ähnlich. Lydia ließ sich schwer auf
einen Stuhl fallen. „Nein, natürlich nicht. Im Grunde ist er ziemlich
melancholisch und versteckt das hinter seinen lockeren Reden und seinem Hang zu
schamloser Albernheit. Aber was hat das ...“
„Wie geschickt
von Tanner, für dich einen so außerordentlich ... passenden ... Verehrer zu
finden. Gut, da war vor ein paar Jahren diese hässliche Geschichte. Rafe
erwähnte es. Aber Wilde hat königlichen Pardon erhalten, und damit ist das wohl
erledigt. Trotzdem ist es ratsam, den Mann eine Zeit lang von der Gerüchteküche
fernzuhalten, und was wäre besser, als zur Erholung
von einer hektischen Saison eine ländliche Gesellschaft vorzuschieben. Und wenn
noch mehr dabei herauskäme ...“, Charlotte hob elegant ihre hübschen
Schultern, „... sagen wir, ah, eine Verlobung? Nun, überlassen wir das dem
Schicksal.“
„Dem
Schicksal?“ Lydia kniff die Augen zusammen. „Weißt du, Charlotte, gerade
klangst du, als wolltest du meine Zukunft in die Hand nehmen, genau wie Mama.
Und
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