Kasey Michaels
unhöflich diese Bemerkung war.
Lydia ging
zu dem Spiegel an der Garderobe, um zu sehen, ob ihr Hütchen noch saß, dieses
winzige, närrische Ding, das, sah man von der Feder an der Krempe ab, dem
Biberhut der Gentlemen nachgebildet war. In die Stirn gezogen, thronte es in
kessem Winkel auf ihren blonden Locken, und beim Reiten hatte sie den gerafften
Halbschleier vor dem Gesicht herabgelassen, sodass Tanner ihre Augen nur durch
dieses zarte Gespinst sehen konnte. Mit diesem Hut kam sie sich sehr flott vor,
und überaus modisch.
Und sehr
kühn? Himmel, wenn das schon ein Hut fertigbrachte, wie dann erst fühlte ein
Mann sich, wenn er einen Degen trug? Der Hut der Dame, der Degen des Mannes –
waren beides Waffen? Und welchen Kampf kämpften die Geschlechter dann?
Irgendetwas
jedoch musste sie für ihr ungewöhnliches Betragen Tanner gegenüber
verantwortlich machen, warum also nicht diesen Hut. Jedes Mal, wenn sie den
Mund öffnete, hatte sie sich verblüffende Dinge sagen hören. Und dann hatte sie
Tanner berührt ... gut, nur seine Wange, aber immerhin ...
Und das, wo
sie sich schon längst wünschte, er möge sie packen und an sich drücken, ihre
Gefühle erwecken. Als sie vorhin seine Wange berührt hatte, war es, als ob ihr
heiße Glut durch die Finger rann. Ging es ihm auch so?
Sie glaubte
es. Nein, sie wusste es. Er begehrte sie, wie Nicole offen aussprechen würde.
Körperlich. Begehrte ihren Körper. Wie naiv wäre sie, es nicht zu merken.
Und sie
begehrte ihn, sehnte sich danach, seinen Mund zu spüren, seine Hände auf ihrem
Körper, damit er sie aufweckte. Sie wollte dieses Sehnen verstehen, dieses
überraschende Gefühl, sich ihres Körpers bewusst zu sein, wann immer er sie
anschaute.
Sie war
nicht dumm, sie wusste, dass er sie nicht nach Malvern eingeladen hatte, um ihr
die Landschaft zu zeigen oder Jasmine und Justin Gesellschaft zu leisten.
Sie würden
öfter allein sein, sie und Tanner, selbst wenn das hieß, dass sie solange die
Hügel durchstreiften, bis er aufhörte, so ehrenhaft, so zartfühlend und sanft
zu ihr zu sein. Oder sie ihm letztendlich doch einen kleinen Schubs geben
müsste.
„Fertig,
Lydia“, trällerte Jasmine.
Lydia fuhr
aus ihren Gedanken auf und musterte das Waschbecken und den Wasserkrug.
Jasmine hatte nicht nur beide Handtücher benutzt, sondern auch das gesamt
Wasser aufgebraucht. Nach und nach drängte sich Lydia der Verdacht auf, dass
dieses Mädchen möglicherweise nicht so ganz das süße, dumme Ding war, als das
es sich darstellte. Trotz ihres wie ein Mühlrad klappernden Mundwerks und ihrer
angeblichen Anspannung konnte Jasmine ganz gut für sich sorgen und ihre
Wünsche durchsetzen.
Wie in der
Kutsche den Sitz in Fahrtrichtung, den sie mit Lydia zu teilen sich erst
bequemt hatte, als Lydia sie ausdrücklich bat, doch ihr Kleid nicht so sehr
auszubreiten. Und dann die Geschichte mit dem Gebäck. Tanner hatte für die
Damen ein Körbchen mit Zimtschnecken in den Wagen packen lassen. Als Lydia
schließlich davon kosten wollte, musste sie feststellen, dass Jasmine sie schon
alle auf dem kurzen Weg zum Grosvenor Square verspeist hatte. So reizend
zerknirscht sie sich auch wegen ihrer Gedankenlosigkeit entschuldigte, änderte
es doch nichts daran, dass Lydia leer ausging.
Im Geiste
schalt Lydia sich ihrer unfreundlichen Gedanken wegen. Im besten Fall konnte
man Jasmine als gedankenlos und schlecht erzogen betrachten. Obwohl sie
irgendwie immer zu bekommen schien, was sie wollte. Wobei sie stets behauptete,
es gar nicht zu wollen.
Wie zum
Beispiel die Londoner Saison.
Wie ihre
hübschen Kleider.
Wie den
Malvern-Schmuck.
Wie Tanner?
Während sie
die Seife und eines der gebrauchten Tücher aufnahm, um sich in dem
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