Kasey Michaels
trüben
Wasser flüchtig die Hände zu waschen, sagte sie über die Schulter: „Du musst
dich so sehr auf Malvern freuen!“
„So?“
Jasmine zog ein hübsches Schnütchen. Dann lächelte sie. „Aber doch, ja. Ich
fühle mich auf dem Land viel wohler. Tanner ist wirklich ein Schatz, dass er
mir diese Erholung vom Londoner Trubel gönnt.“
„Ich meinte
eigentlich, dass du dich freust, bald ... deinen Freund wiederzusehen.“
„Wie hast
du – oh! Jasmine schlug die Lider nieder, und Lydia konnte wahrhaftig zusehen,
wie ihr entzückende Röte in die Wangen stieg. „Oh, du meinst Br...Bruce. Nein,
ich will lieber nicht an ihn denken“, verkündete sie theatralisch. „Ich
darf nicht.“
Einen
Lidschlag lang dachte Lydia, das Mädchen müsse durch Luftanhalten rot
angelaufen sein, schalt sich dann jedoch lächerlich misstrauisch.
„So heißt
er? Bruce?“
Jasmine
nickte nachdrücklich und biss sich auf die Unterlippe, während in ihren Augen
Tränen aufglitzerten. „Ich möchte es lieber nicht sagen.“
So, das
genügte! Lydia hatte nicht achtzehn Jahre lang Nicole als Schwester gehabt,
ohne zu merken, wann jemand heuchelte. Und Jasmine war nicht halb so bewandert
in der Kunst des Schwindelns wie Nicoles Zwilling. „Erzähl mir doch von
ihm“, bat sie. „Hat er zum Beispiel auch einen Nachnamen?“
„Wie kannst
du nur so gemein sein, mich zu zwingen, dir ... also gut, wenn es sein muss.
Beattie. Bruce Beattie. Aber es macht mich ganz traurig, von ihm zu
sprechen.“
Dann zwing
dich eben, dachte Lydia ungewohnt boshaft, sagte aber nur: „Ist er Knecht auf
Malvern? Arbeiter? Kennst du ihn daher?“
„Nein, er
... er ist der Schulmeister in Great Malvern. Ich traf ihn beim
Kirchgang.“
„Schulmeister?
Das ist ein respektabler Beruf.“
Jasmine
seufzte bedauernswürdig. „Nicht, wenn dein Vater dich als Duchess sieht. Aber
das weißt du ja schon.“
„Ja, diese
letzte Bitte auf dem Sterbebett. Du hast Gründe genug, traurig zu sein“,
entgegnete Lydia. Sie löste die Nadeln aus ihrem Hut, obwohl er nicht ein
Quäntchen verrückt war, seit Sarah ihn festgesteckt hatte. Doch sie wollte gern
einen Moment allein sein, um nachzudenken, und dafür war sie sogar bereit, den
Sitz des Hutes zu opfern. „Und ich wette, dass meine wenig feinfühligen Fragen
dir den Appetit geraubt haben.“ Die Fragen und ein ganzes Körbchen
Zimtschnecken.
„Schon,
aber ich darf mich nicht der Trübsal überlassen. Es würde Tanner auffallen – er
merkt es immer – und er würde mich ausfragen. Ich werde mich zum Essen zwingen.
Kommst du mit hinunter?“
Da sie zwei
Hutnadeln mit den Zähnen festhielt, winkte sie Jasmine, schon vorauszugehen.
Als sie
allein war, fiel ihr Blick auf das Retikül, das Jasmine zusammen mit ihren
Handschuhen auf dem Bett hatte liegen lassen.
Nein, sie
würde es nicht tun. Sie war keine Schnüfflerin. Und wie wenig nett sie über das
Mädchen gedacht hatte, dessen einzige Sünde einfach nur Gedankenlosigkeit war!
Und eine Neigung zum Melodram ... und zu Zimtschnecken.
Zögernd
näherte sie sich dem Bett. Es juckte ihr in den Fingern, das Retikül zu nehmen
und einen Blick hineinzuwerfen.
Nicole
hätte es schon längst getan. Wenn sie etwas erfahren wollte, hielt sie sich
nicht mit Überlegungen bezüglich Recht oder Unrecht auf, sondern tat einfach
das Nötige.
„Ach, zum
Teufel“, flüsterte Lydia endlich, ließ Erziehung Erziehung sein, nahm das
Retikül und zog die Schnüre auf. Ihr erster Blick fiel auf eine einsame
Zimtschnecke. Mit einem Mal ließ sie alle Zurückhaltung fahren und schob ihre
Hand tief in den Beutel. Ein Spitzentüchlein, ein kleiner Spiegel, ein paar
Münzen ... und ein mehrfach gefaltetes Papier.
Sie nahm es
und schlug es auf. „Welch schöne Handschrift; wie es sich für
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