Kasey Michaels
Geschichte
Englands. Aber sie merkte nicht, wenn ein Mann in sie verliebt war?
Bei ihrem
geliebten Captain war das anders gewesen. Sie war anders gewesen. Jung, so
jung, dass sie nicht wusste, was es hieß, einen Mann wahrhaft zu lieben, wie
sehr es einen drängte, ihm immer nahe zu sein, ihn spüren zu wollen, ohne
Zögern, ohne Scham zu geben und zu nehmen.
Ihre Liebe
zu Fitz war einfach gewesen; stille Abende vor dem Kamin in Ashurst Hall,
gemeinsame Lektüre, Geschichten aus seiner Kindheit in Irland. Das Gefühl, ihm
etwas zu bedeuten. Für mehr war sie damals nicht reif genug, und das hatte
Fitz gewusst. Jene Liebe war ihr erster Schritt zur erwachsenen Frau gewesen.
Tanner aber
war das Lächeln, das ihr durch und durch ging, die Stimme, der sie ewig
lauschen konnte, war der Schritt in der Halle, der ihr Herz heftiger schlagen
ließ. Das Gesicht, das sie in ihren Träumen sah.
Wie hatte
sie ihn gehasst, als er die Nachricht von Fitz' Tod überbrachte. Gefürchtet
aber hatte sie ihn, als in ihren Träumen Fitz' Gesicht von dem seinen verdrängt
wurde. Für solche Empfindungen war sie im vergangenen Jahr nicht gerüstet,
deshalb hatte sie bei seinen regelmäßigen Besuchen auf Ashurst Hall seine
Gesellschaft gemieden.
Ihn zu
vergessen war ihr jedoch unmöglich gewesen.
Nun wusste
sie, warum.
Der Captain
war ihre Vergangenheit, ein wichtiger Teil davon. Tanner war ihr Ein und Alles.
Ihr Heute und ihr Morgen. Lydia trocknete sich die Augen mit dem Zipfel der
Bettdecke und drückte
das Kissen in ihrem Arm fester an sich. Das Leben war nicht einfach, Gefühle
konnten Segen oder Fluch sein ... aber jetzt war sie bereit dafür. Mit Tanner
war sie sogar begierig darauf.
Die Zeit
verrann, das war unabänderlich, und mit ihr verblassten die schlimmen
Erfahrungen, und man konnte sich, sein Herz erneut dem Schönen öffnen.
Sie zog die
Decke dichter um sich und schaute zum Fenster. Es musste geregnet haben, denn
an den Scheiben rannen Tropfen herab. Sehnsüchtig wartete sie auf den Morgen,
um Tanner nur bald wiederzusehen. Möglicherweise waren sie nach dieser Nacht
anfangs ein wenig verlegen, wenn sie sich unten trafen, doch so sehr verlangte
es sie nach seinem Anblick, dass sie den Gedanken rasch verdrängte. Wenn sie
nur wieder einschlafen könnte, damit die Zeit schneller verging ...
Sie schloss
die Augen, schlug sie aber gleich wieder auf, aufgeschreckt von Geräuschen
hinter ihr. Was war das?
Das Bett
stand an der Wand, die diesen Raum von Jasmines Zimmer trennte. Lydia kroch
unter der Decke hervor und legte ihr Ohr lauschend an die Wand. Da war es
wieder. Es klang wie Weinen.
„Um Gottes
willen!“, murrte Lydia, denn sie wusste, dass sie das unmöglich ignorieren
konnte. Rasch entzündete sie eine Kerze.
Sie wusste
nicht, was die Uhr zeigte, doch der Himmel war schon nicht mehr völlig schwarz,
also konnte der Morgen nicht fern sein.
Hatte
Jasmine etwa die ganze Nacht geweint? Schluchzte vielleicht jetzt gar im
Schlaf? Und warum bloß? Beim Dinner hatte sie sich äußerst unvernünftig, ja,
kindisch verhalten, und für solchen Schwulst brachte Lydia, wie die meisten
ausgeglichenen Menschen, wenig Verständnis auf ... das hieß aber nicht, dass
sie nun ruhigen Gewissens wieder ins Bett klettern und so tun konnte, als hätte
sie nichts gehört.
Also nahm
sie die Kerze, warf ihren Morgenmantel über und lugte vorsichtig aus der
Zimmertür. Sie hoffte, dass noch kein Dienstbote
unterwegs war. Nein, niemand war zu sehen, und so huschte sie über den Gang und
klopfte leise an Jasmines Tür. „Jasmine? Jasmine, ich bin's, Lydia. Darf ich
eintreten?“
„Nein!
Nein, geh weg!“
Lydia
seufzte unwillig. Sicher, sie selbst war nicht die Beste, wenn es um
Heimlichkeiten ging, Jasmines jedoch unterbot sie darin offensichtlich
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