Kasey Michaels
nicht
gedacht, dass du so grausam sein kannst.“
„Ich auch
nicht, aber anscheinend entdecke ich gerade, dass meine Geduld Grenzen hat, und
einer solchen näherst du dich ziemlich schnell.“
Jasmine
seufzte und zuckte mit ihren schlanken Schultern, halb trotzig, halb
resigniert. „Na gut, wenn du so bist! Es ist nur so schrecklich dumm. Also, es
waren wohl schon alle zu Bett gegangen, aber dann bekam ich Hunger, richtig
schlimmen Hunger. Und ich wusste natürlich nicht, wo sie untergebracht ist, ich
meine Mildred, deshalb ... deshalb ging ich sie suchen.“
„Wie? So?
Im Negligè?“ Dass Jasmine einen gesunden Appetit hatte, war nichts Neues,
immerhin war da die Sache mit den Zimtschnecken. Aber war sie tatsächlich
mitten in der Nacht durch das Gasthaus gegeistert, um sich nach Essbarem umzuschauen?
Das war seltsam.
„Die Treppe
zu den Dienstbotenräumen liegt schräg gegenüber von meiner Tür, aber sie
schliefen ja alle, es war also nicht so, als ob mich jemand hätte sehen können.
Daran dachte ich sehr wohl, Lydia. Aber die Treppe führt auch direkt hinunter
in die Küche.“
Matt sank
Lydia auf die Bettkante nieder. Sie fühlte sich plötzlich so entsetzlich viel
älter als dieses Mädchen. „Und du gingst wohin?“
„Nach oben
natürlich“, verkündete Jasmine mit einem Unterton, der besagte, dass das
eine äußerst dumme Frage sei. „In Küchen kenne ich mich nicht aus. Wie sollte
ich auch? Ich hielt also die Kerze hoch über mir und ging auf Zehenspitzen die
Stufen hinauf. Dabei rief ich nach Mildred, aber sie antwortet nicht, und erst
da kam mir in den Sinn, dass vielleicht auch die männliche Dienerschaft da oben
schläft. Und Tanners Mann und der vom Baron. Also hielt ich an und wollte
zurückgehen, aber ich passte nicht auf, und dann stolperte ich über den Saum
meines Negligés – davon wird Mildred noch zu hören bekommen, denn ich habe
gleich gesagt, dass dieses Ding zu lang ist –, und wäre beinahe zu Tode
gestürzt, doch ich konnte mich noch fangen, aber ich fiel gegen die Wand und
schlug mit der Wange auf. Ich glaube aber, es ist nichts gebrochen. Oder was
denkst du?“
„Tut es sehr weh?“
„Nicht mehr
ganz so, aber du glaubst nicht, wie erschrocken ich war, als ich dachte, ich
würde mir das Genick brechen. Bestimmt werde ich noch monatelang davon
träumen, eine stockfinstere Treppe hinunterzustürzen.“ Wieder rannen ihre
Tränen.
Lydia blieb
davon unbeeindruckt, meinte jedoch: „Das wünsche ich dir nicht. Und was ist
mit deinem Kinn?“
„Mein
Kinn?“ Behutsam befühlte sie ihre Kinnspitze.
„Nein,
nicht da, unterhalb des Mundes.“
Während das
Mädchen sich dem Spiegel zuwandte, um die Stelle zu untersuchen, beugte Lydia
sich rasch nieder und hob einen von Jasmines Hausschuhen vom Teppich auf. Sie
drehte die weiche Sohle aus Ziegenleder nach oben und befühlte sie. Sie war
feucht. Hastig ließ sie den Schuh fallen. Es gab nur eine Schlussfolgerung
dafür.
Jasmine war
im Freien gewesen.
Eben strich
sie über die wunde Stelle. „Meinst du das hier, Lydia? Meine Güte, ich kann mir
nicht vorstellen, wie das passiert ist. Außer es käme von den groben Laken.
Weißt du, als ich geweint habe, habe ich das Gesicht ins Kissen gedrückt, damit
man mein Schluchzen nicht hört. Ich habe eine sehr zarte Haut, musst du wissen.
Ach, wenn man wie der Baron sich erlauben könnte, mit dem eigenen Bettzeug zu
reisen! Aber das hat jetzt nichts zu sagen.“
Sie stand
auf und drehte sich lächelnd Lydia zu. „Es geht mir schon viel besser, nur
fühle ich mich so dumm, weil du durch mich geweckt wurdest. Bitte geh wieder
schlafen, ich werde auch ganz leise sein. Außer du könntest das Knurren meines
hungrigen Magens durch die Wand hören.“
Lydia erhob
sich; sie konnte Jasmine kaum ins Gesicht schauen und wollte so schnell wie
möglich so weit
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