Kasey Michaels
bei
Weitem. „Wenn du nicht leiser sprichst, wird gleich der ganze Gasthof hier
versammelt sein“, zischte sie. „Lass mich herein, oder ich schicke
jemanden, Tanner zu wecken.“
Im Stillen
zählte sie bis zehn und wollte gerade erneut klopfen, als die Tür ein
Stückchen geöffnet wurde, sodass sie rasch ins Zimmer schlüpfen konnte. Ein
Blick zeigte ihr, dass Jasmines Bett tatsächlich an der angrenzenden Wand
stand. Wenn sie Jasmine gehört hatte, hatte die etwa auch sie und Tanner ...?
Das könnte peinlich werden.
Nachdem
ihre Augen sich an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, ging Lydia herum und entzündete
mit ihrer Kerze noch ein paar Lichter, ehe sie sich Jasmine zuwandte. Sie trug
ein sehr hübsches Negligé, bestickt mit gelben Rosenknospen. Das dunkle Haar
fiel ihr offen über die Schultern und umrahmte ihr zartes, fast elfenhaftes
Gesicht. Sie war wirklich schön ... das hieß, bis sie den Mund öffnete und
ihren unermüdlichen Redestrom losließ.
Lydia hob
die Kerze höher an Jasmines Züge. „Was ist das da auf deiner Wange? Nein, dreh
dich nicht weg. Da, links. Das sieht aus wie ein Bluterguss.“
Jasmine drückte
die Hand auf ihre tränenfeuchte Wange. „Ein ... ein Missgeschick. Ich habe mich
beim Dinner ja so schlecht benommen. Ich weiß auch nicht, was in mich gefahren
war, wirklich nicht. Ich muss wohl so hungrig gewesen sein. Papa sagt immer,
ich wäre nie garstig, außer ich brauche etwas zu essen. Aber dann bin ich ja
gegangen, ohne auch nur einen Bissen im Magen.“
„Das nennt
man, sich ins eigene Fleisch schneiden“, sagte Lydia leise. „Aber Tanner
ließ dir doch ein Tablett hinaufbringen.“
Jasmine
nickte heftig. „Ja, ja, natürlich. Aber da konnte ich einfach nichts essen, vor
lauter Schuldgefühlen ... wegen meines schlechten Benehmens. Papa hätte getobt
vor Wut, wenn er mich so erlebt hätte. Er sagt, ich soll immer darauf achten,
mich Tanner nett zu präsentieren. Das Tablett habe ich sofort wieder
weggeschickt.“
Lydia
schüttelte nur den Kopf. „Aber was hat das nun mit dem Bluterguss zu tun?“
Endlich
senkte Jasmine ihre Hand und enthüllte die Verletzung. Zwar war die Haut nicht
aufgeplatzt, doch die Wange war rot und geschwollen, und dann war da noch
etwas, eine leichte Rötung unterhalb ihres Mundes.
Sehr
ähnlich der, die Lydia unter Reispuder verborgen hatte, ehe sie zum Dinner
hinuntergegangen war.
Noch
gestern hätte Lydia nicht gewusst, was sie da sah. Doch zwischen gestern und
heute lag eine Welt an Erfahrungen, und daher war ihr erster Gedanke jetzt
‚Schulmeister Bruce Beattie‘. War er hier? Hatte Jasmine ihn irgendwie
benachrichtigt, und er hatte es nicht aushalten können, sie erst morgen
wiederzusehen? War Jasmine hinausgeschlüpft, um ihn zu treffen? Aber das
konnte sie unmöglich fragen, sonst müsste sie erklären, wie sie überhaupt auf
diese Fragen gekommen war.
Inzwischen
war Jasmine zu ihrem Frisiertisch gegangen und musterte sich im Spiegel. „Oh
je, wie sehe ich aus? Meinst du, es ist etwas gebrochen?“ Ganz vorsichtig
berührte sie ihre Wange, zuckte aber trotzdem zusammen.
„Wie soll
ich das sagen, wenn ich nicht weiß, wie es passiert ist?“
Jasmine
wandte sich ihr zu, ihre Unterlippe bebte. „Es tut weh, Lydia! Darum habe ich
geweint. Tut mir leid, dass ich dich damit gestört habe. Aber diese Wände sind
auch so dünn, nicht wahr? Weißt du, dass in diesen Gasthöfen viele Herren oft
zu sechst in einem solchen Zimmer übernachten? Ich kann mir überhaupt nicht
vorstellen, wie man ...“
„Jasmine“,
unterbrach Lydia sie, „hör auf zu plappern. Ich werde nicht gehen, bis du mir
geantwortet hast. Entweder mir oder Tanner, entscheide dich.“
„Warum?
Wieso ist es so wichtig, dass jeder erfährt, wie dumm ich bin? Ich hätte
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